Reetdach-Retter : Angriff des Killerpilzes
Die Angst geht um in Norddeutschland – die Angst vor dem osteuropäischen Killerpilz. Seine Lieblingsspeise: Reetdächer, die nach dem Pilz-Besuch scharenweise modderig von den Häusern plumpsen. Eine schlechte Filmidee? Ein neuer Frank-Schätzing-Roman? Mitnichten. Bei der Innung der Dachdecker in Schleswig-Holstein stehen die Telefone nicht mehr still – alle wollen Hilfe im Kampf gegen den Killerpilz. Das berichtet Jan Juraschek, der für die Innung eigens den Posten des Reetdachbeauftragten übernehmen musste, als das Killerpilz-Chaos ausbrach.
Einer wird sich da ins Fäustchen lachen: Der Reetdachbesitzer Ulrich Schaefer warnt auf seiner Website www.reetdach-sterben.de in blumigen Worten vor der Gefahr. Er brachte seine Theorie vom Killerpilz, der aus den Hallen der osteuropäischen Papierindustrie entwichen sei, auch prominent in den Medien unter: Hamburger Morgenpost und Spiegel berichteten, und der Killerpilz schaffte auch den Sprung ins Fernsehen.
Doch Schaefer warnt nicht nur vor der von ihm entdeckten Gefahr – praktischerweise kann er den verzweifelten Häuslebauern auch gleich den rettenden Reethalm zuwerfen: einen Kupfer-Ionen-Spender, der dem vermeintlichen Pilz die Lebensgrundlage entziehen soll. „Behandeln des Daches mit von uns empfohlenen Behandlungsmitteln“ und „Einbau der von uns empfohlenen Kupfer-Ionen-Spender“ rät Schaefer im Internet und bietet „professionelle Hilfe zu allen Fragen der Rettung und Sanierung“.
Seinen Profi-Kollegen geht Schaefer gehörig auf den Geist. „Es gibt kein Reetdachsterben“, sagt Juraschek. Tatsächlich seien in Norddeutschland seit Herbst 2005 einige Reetdächer ungewöhnlich schnell verrottet. Es handele sich aber nur um rund 100 Fälle – und damit keineswegs um ein Massensterben. Die kaputten Dächer lässt die Innung jetzt wissenschaftlich untersuchen, um der Ursache des Verfalls auf den Grund zu gehen. Schlechtes Material könnte ein Grund sein. Doch die Idee vom Killerpilz hielten alle beteiligten Wissenschaftler für Unsinn, sagt Juraschek.
Selbstverständlich wollte die taz der Sache nachgehen und rief Ulrich Schaefer an, den obersten Killerpilz-Bekämpfer. Doch schon die Einstiegsfrage: „Warum sind Sie sich sicher, dass ein Killerpilz aus Osteuropa eingeschleppt wurde, Herr Schaefer?“, quittierte der mutige Reetdach-Retter nur knapp: „Wenn Sie hier so kritisch fragen, kommen wir gar nicht erst ins Gespräch.“
KARIN CHRISTMANN