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Archiv-Artikel

Härtere Strafen für harte Kids?

Ministerpräsident Jürgen Rüttgers fordert, dass die Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre gesenkt wird. Er will wiederholt straffällig gewordene Kinder in geschlossene Heimen unterbringen und Eltern mit „gravierenden Erziehungsdefiziten“ zu Kursen verpflichten. Ist das der richtige Weg?

RAINER WENDT, 50, ist Hauptkommissar bei der Duisburger Polizei. Seit rund 34 Jahren ist der vierfache Vater im Polizeidienst tätig. Der bekennende CDU-Anhänger sitzt der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Nordrhein-Westfalen vor und ist auch deren stellvertretender Bundesvorsitzender. Im September will er in das Amt des Bundesvorsitzenden gewählt werden.

JA

Straftäter werden immer jünger, immer brutaler, immer hemmungsloser. Jegliche Achtung vor staatlichen Autoritäten und vor dem Elternhaus ist vielen Kindern und Jugendlichen völlig verloren gegangen. Nur mit einem Bündel von Maßnahmen und vereinten gesellschaftlichen Kräften kann man dieser Entwicklung entgegentreten. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat meine volle Unterstützung in seiner Absicht, konsequenter gegen Jugendkriminalität vorzugehen. Ich hoffe, dass sich seine Vorschläge rasch umsetzen lassen.

Elternhäuser sind nicht nur häufig überfordert. Es ist leider zu beobachten, dass sie sich weigern, ihren Kindern Grenzen zu setzen und deren Einhaltung durchzusetzen, ihnen beizubringen, was richtig und falsch, akzeptabel oder völlig daneben ist. Erziehungsberechtigte sind auch Erziehungsverpflichtete. Deshalb ist es richtig, überforderten Eltern zu helfen – notfalls auch mit staatlichem Druck, diesem Erziehungsauftrag nachzukommen. Die vom Regierungschef angekündigten Erziehungskurse sind dafür geeignet.

Richtig ist es auch, jugendliche Intensivtäter in geschlossenen Heime unterzubringen. Dort können Fachkräfte das korrigieren, was in der bisherigen Entwicklung des Kindes falsch gelaufen ist. Der Staat muss eingreifen, wenn sich kriminelle Karrieren bereits im Kindesalter abzeichnen. Auch hier stimme ich Rüttgers ausdrücklich zu. Was aber das Angebot von Heimplätzen auf freiwilliger Basis nicht ausschließt. Die FDP im Landtag hat hierzu sehr überzeugende Pläne auf den Weg gebracht.

Außerdem erwarten wir, dass das Strafmündigkeitsalter vom 14. auf das 12. Lebensjahr abgesenkt wird. Nur so ist es möglich, dass straffällige Kinder von den Möglichkeiten des Jugendgerichtsgesetzes erfasst werden. Damit können Richter Weisungen und Auflagen erteilen, der Staat zeigt sich nicht länger taten- und hilflos. Die Behauptung, damit könnten Kinder in den Knast gesteckt werden, ist Unsinn und lenkt vom Problem ab. Ein Strafverfahren hat häufig schon erzieherische Wirkung aus sich heraus. Genau diese Effekte brauchen jugendliche Täter, wenn sie nicht völlig in den Teufelskreis aus Kriminalität, Gewalt und Desorientierung abdriften sollen.

Jede Einzelmaßnahme für sich ist noch kein Königsweg, aber ein Beitrag zur Bekämpfung und Vorbeugung von Jugendkriminalität. Jugendarbeit und Jugendhilfen gehören dazu und müssen gestärkt und gefördert werden. Kürzungen in der Jugendarbeit lehne ich deshalb ab. Auch die Ehrenämter müssen stärker als bisher unterstützt werden, dafür kann die Landesregierung noch erheblich mehr tun.

RAINER WENDT

NEIN

Seit Jahren taucht die Forderung nach härten Strafen für Jugendliche wie das Ungeheuer von Loch Ness aus dem See der politischen Rat- und Hilflosigkeit auf. Auch bis zum Ministerpräsidenten sollte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass Instrumente des Strafrechts nicht dazu geeignet sind, Fehlentwicklungen bei Kindern zu korrigieren.

Aufgrund des Standes der Persönlichkeitsentwicklung ist das Norm- und Unrechtsbewusstsein bei Kindern noch nicht ausgeprägt. Genau aus diesem Grunde sind Kinder im Alter bis zu 14 Jahren nicht schuldfähig. Wenn Gerichte genau aus diesem Grund, nämlich der mangelnden Persönlichkeitsentwicklung, oft nicht einmal junge Erwachsene nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilen wollen, kann man das kritisieren. Es zeigt aber auch die Praxisferne der Forderung nach Herabsetzung der Strafmündigkeitsgrenze.

Kinder im Knast? Die Strafvollzugsanstalten in NRW sind übervoll, es fehlt an Personal und die Zustände dort schreien zum Himmel. Im Übrigen ist die Zahl der Tatverdächtigen unter 14 Jahren seit ihrem Höchststand mit über 150.000 bundesweit im Jahr 1998 drastisch gesunken.

Natürlich dürfen wir nicht tatenlos zusehen, wie immer noch rund 100.000 Kinder jährlich Straftaten begehen. Doch der Staat sollte erst die Sanktionsmöglichkeiten ausschöpfen, die es heute schon gibt. Die Heime, die Rüttgers fordert, existieren bereits unter dem Namen „Wohngruppen“ – wie etwa im Kreis Viersen. Pflichtkurse für Eltern mit Erziehungsdefiziten gibt es zwar noch nicht. Doch dort, wo Eltern völlig überfordert sind, hat das Jugendamt heute schon die Möglichkeit, ihnen das Sorgerrecht zu entziehen.

FRANK RICHTER, 48, arbeitet seit 1979 als Hauptkommissar beim Polizeipräsidium Mülheim an der Ruhr. Der geborene Essener ist seit fast dreißig Jahren Mitglied der Gewerkschaft der Polizei (GdP) – die traditionell eine sozialliberalere Position vertritt als die Deutsche Polizeigewerkschaft. Seit 2000 ist Richter Mitglied des Bundesvorstands der GdP. Seit September 2005 ist er Vorsitzender der GdP in NRW.

Nicht die Angst vor der Strafe schreckt von illegalem Tun ab, eher die Angst vor der Entdeckung. Deshalb müssen insbesondere die sozialen Einrichtungen bei kindlichem Fehlverhalten rascher mit geeigneten erzieherischen Maßnahmen reagieren. Die Polizei ist nicht geeignet, Defizite unseres Sozialstaates auszugleichen.

Es ist wichtig, dass die Regierung aufhört, immer weiter Personal bei Lehrern, im Sozialbereich, in der Justiz und bei der Polizei einzusparen. Wir brauchen mehr Dienststellen und Kommissariate, die sich ausschließlich mit Jugendstrafsachen und dem Jugendschutz befassen können. Kinder brauchen Hilfe – keine Strafe.

Kinder- und Jugendliche wieder auf den richtigen Weg zu bringen, anstatt sie einfach einzusperren und aus dem völlig überforderten Strafvollzug als gelernte Schwerkriminelle wieder zu entlassen, kostet Geld und engagiertes Personal. Mit starken Worten allein ist da nichts zu machen.

FRANK RICHTER