: Auf der Suche nach einer zweiten Chance
PFLEGEKINDER Viele Kinder und Jugendliche können nicht bei ihren leiblichen Eltern bleiben und müssen anderweitig untergebracht werden. Allein in Hamburg betrifft das zurzeit rund 4.000 Minderjährige. Pflegefamilien und Pädagogen werden dringend gesucht – nicht nur hier
■ Pflege- und Patenkinder Fachdienst für Familien gGmbH, Hamburg☎ 040/41 09 84 60 www.pfiff-hamburg.de
■ Freunde der Kinder e. V., Hamburg
☎ 040/59 49 00 www.freunde-der-kinder.de
■ Pflegekinder in Bremen gGmbH
☎ 0421/958 82 00www.pib-bremen.de
■ Caritas Pflegezentrum Rostock☎ 0381/87 73 62 10 www.müch.de
■ Jugendhilfe Therapie Integration Beratung Betreuung, Niedersachsen☎ 05451/89 40 80 www.jugendhilfe-tibb.de
■ Landesverband für Kinder in Adoptiv- und Pflegefamilien in Schleswig-Holstein e. V.☎ 04826/37 00 31 www.kiap-sh.de
VON JAN STAU
Eine Familie sollte für Kinder und Jugendliche vieles sein: ein Ort der Sicherheit, Unterstützung und Liebe. Bei vielen ist das nicht der Fall. In Hamburg sind aktuell rund 4.000 Minderjährige andernorts untergebracht. Dafür gibt es vielerlei Gründe: Gewalt, Vernachlässigung oder schlicht überforderte Eltern. Zu ihrem eigenen Schutz werden die Kinder aus der Familie genommen.
Erkennt das Jugendamt eine mögliche Kindeswohlgefährdung, wird das Kind zunächst in eine Bereitschaftspflegefamilie oder ein Kinderschutzhaus gebracht. Dann wird die richtige Unterbringungsform ermittelt.
Dafür gibt es unterschiedliche Möglichkeiten – von der Pflegefamilie bis zum Heim. 2.500 Minderjährige sind aktuell stationär untergebracht, in einem Heim oder einer sozialpädagogisch betreuten Wohngemeinschaft. Dort erhalten sie eine besonders engmaschige und professionelle Betreuung.
„Viele sind nicht in der Lage sich in einer Familie zurechtzufinden“, stellt Sozialpädagogin Michaela Wangelin von der Pflegefamilien-Vermittlung Pfiff fest. Damit die Kinder und Jugendlichen nicht in einer Pflegefamilie überfordert werden, wird dann eine andere Unterbringungsform gewählt.
Das Jugendamt bevorzugt grundsätzlich eine dauerhafte Unterbringung in einer Pflegefamilie, da der Familienanschluss besondere Stabilität verleihen kann. Aktuell leben in Hamburg rund 1.300 Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien.
Informationsabende für potenzielle Pflegefamilien sind gut besucht. Doch nur wenige Interessierte setzen dieses Vorhaben später in die Tat um. Viele Kinder und Jugendliche können deswegen nicht vermittelt werden und müssen stationär untergebracht werden. Mehrere Ursachen dafür sind denkbar. Neben den großen Anstrengungen, die ein solches Engagement mit sich bringt, gibt es auch die Sorge vor Stigmatisierung.
Nachdem 2012 ein elfjähriges Mädchen in Obhut einer Hamburger Pflegefamilie Methadon zu sich nahm und daran starb, wurden die Vorgaben für Pflegeeltern verschärft. Seitdem müssen volljährige Mitglieder einer Pflegefamilie Drogen- und Gesundheitstests sowie Führungszeugnisse vorlegen. Gerade die Drogentests schrecken potenzielle Pflegeeltern ab. Einige fühlen sich dadurch unter einen pauschalen Verdacht gestellt. „Ich will doch nur etwas Gutes tun und werde behandelt wie ein Drogenabhängiger“, sei ein häufiger Vorwurf, berichtet Michaela Wangelin. „Das Kindeswohl ist natürlich entscheidend, aber es muss mit Bedacht gehandelt werden, es darf kein Aktionismus herrschen“, sagt sie. Sie findet es nicht einleuchtend, dass auf illegale Drogen getestet wird, auf Alkohol hingegen nicht.
Sind die Vorbedingungen erfüllt, müssen die Pflegeeltern begutachtet werden. Manchmal ist dafür das Jugendamt zuständig, manchmal ein freier Träger. Danach steht einer Betreuung nichts mehr im Wege.
Für alle Beteiligten ist dies zunächst oft kein leichtes Unterfangen. Den leiblichen Eltern fällt es häufig schwer, das eigene Kind abzugeben. Für viele geht damit aber auch eine Erleichterung einher. Die Pflegeeltern dagegen müssen sich ihrer eigenen Rolle bewusst sein, die sie für das Kind haben. Sie leben den Alltag einer Familie, dürfen aber nicht an die Stelle der leiblichen Eltern rücken. „Die Wurzeln der Kinder sind die leiblichen Eltern und die dürfen nicht komplett abgeschnitten werden“, stellt Wangelin fest. Am schwierigsten ist die Situation zunächst für die Kinder und Jugendlichen selbst: Die Eingewöhnung in die neue Umgebung und an neue Bezugspersonen machen ihnen ebenso zu schaffen wie die Last der Vergangenheit.
Soweit möglich, sollen auch Minderjährige mit besonderem pädagogischen Bedarf ein Familienleben erleben. Dieser Bedarf kann unterschiedliche Gründe haben, beispielsweise durch eine schwere Traumatisierung oder Behinderungen. Für diese Kinder gibt es sogenannte Erziehungsstellen, eine spezielle Form der Pflegefamilie, in der mindestens ein ausgebildeter Pädagoge leben muss. Dafür bekommt die Familie etwa doppelt so viel Geld wie reguläre Pflegefamilien. Die Bezüge orientieren sich dann am Gehalt eines Erziehers. Pflegefamilien können bei einer Verschärfung der Situation auch nachträglich zu einer Erziehungsstelle aufgewertet werden. Insgesamt sind derzeit 154 Kinder und Jugendliche in Erziehungsstellen untergebracht. Besonders für diese Kinder sucht das Jugendamt dringend aufnehmende Familien.