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Archiv-Artikel

Echte Handarbeit

MIKROBRAUEREIEN In Berlin brauen immer mehr Kleinbetriebe einen ganz besonderen Stoff, die Bierfans wissen das zu schätzen

Der Mikrokosmos

■ Vagabund Brauerei, Antwerpener Str. 3, Wedding, Bar-Öffnungszeiten: Di.–Sa. ab 19 Uhr, www.vagabundbrauerei.com

■ Brauerei Flessa, Petersburger Str. 39 (1. Hinterhof), Friedrichshain, Tel. (0 30) 23 47 08 31, www.brauerei-flessa.de

■ Bierfabrik Berlin, Beilsteiner Str. 51–85, Marzahn, www.bierfabrik.de

■ Heidenpeters in der Markthalle Neun, Eisenbahnstraße 42–43, Kreuzberg, www.heidenpeters.de (mpö)

VON MICHAEL PÖPPL

Mit einem Glühweinkocher fing es 2011 an: In ihrer Weddinger Küche brauten David Spengler, Tom Crozier und Matt Walthall ihr erstes eigenes Craft Beer, ganze 20 Liter fasste der Topf. Die Zutaten hatten die drei Amerikaner online aus den USA bestellt: Dosen mit Malzextrakt, Hopfen und Flüssighefe. „Das erste Bier war noch nicht wirklich gut“, sagt David von der heutigen Vagabund-Brauerei und verzieht lachend das Gesicht. „Wir sind keine ausgebildeten Brauer, das muss man zum Glück in Deutschland auch nicht sein.“

Bier selbst brauen, in Deutschland? – Ist das nicht Eulen nach Athen tragen? „Uns hat vor allem die Abwechslung gefehlt. Man bekommt zwar überall gutes Pils, Weizenbier oder Lager, aber etwas Besonderes fehlte uns“, sagt Spengler. Etwas wie ihr American Pale Ale, das sie seit 2013 in der Vagabund-Bar ausschenken: Obergärig, von bernstein- bis dunkelroter Farbe, ein Hauch von Südfrüchten steigt in die Nase, denn vier verschiedene Hopfensorte sorgen für ein intensives Aroma – ein typisches Craft Bier.

Über 90 Prozent der Braumenge in der Hauptstadt kommt aus der Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei der Radeberger Gruppe, die sieben der bekanntesten Berliner Marken produziert. Doch der Anteil der Mikrobrauereien am Berliner Gesamtumsatz steigt stetig, seit 2008 hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt, rund 20 Craftbier-Brauereien gibt es inzwischen. Dass das handgemachte Bier etwas teurer ist, stört die meisten Konsumenten nicht, wie Olaf Hendel von der „Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin e. V.“ (VLB) weiß: „Die Mikrobrauereien und ihr besonderes Angebot locken ein jüngeres, konsumbewussteres Publikum an, das gerne Neues probiert. Da gibt es durchaus Parallelen zum Wein. Diese Verbraucher sind bereit, für das Besondere auch mehr Geld auszugeben.“

Arrivierte Mikrobrauereien wie die Brauerei am Südstern, die Privatbrauerei am Rollberg oder das Brewbaker in Moabit sind schon seit einigen Jahren aktiv. Die steigende Nachfrage nach dem handgemachten Bier hat aber zusätzlichen Schwung in die Szene gebracht. 2012 gründete sich die Brauerei von Johannes Heidenpeter in der Markthalle Neun in Kreuzberg, gleichzeitig entstanden die Hinterhofbrauerei von Christoph Flessa in Friedrichshain und das Start-up Beer4Wedding: Nach einer längeren Zeit als „Gypsie-Brewer“ bei befreundeten Kollegen haben drei Brauereistudenten der TU soeben eine eigene Braustätte in Marzahn gegründet, die „Bierfabrik Berlin“. Ihr „Wedding Pale Ale“ oder ihr „Schabrackentabier“ bekommt man in Weddinger Kiezkneipen ebenso wie im schicken Gestalten-Café des Bikinihauses. Die neidlose Zusammenarbeit untereinander ist ein Merkmal der Branche: „Alle Brauer in Berlin helfen einander. Als wir am Umbauen waren, durften wir unser Bier für die Bar mal bei Heidenpeters oder mal bei Schoppe brauen“, erzählt Spengler von Vagabund.

In den USA hat Craftbier bereits sechs Prozent Marktanteil. Der Megatrend könnte sich in Deutschland fortsetzen. Kleine deutsche Brauereien wie der Braukunstkeller im hessischen Michelstadt, die Hamburger Kreativbrauerei Kehrwieder oder die Brauerei Störtebeker aus Stralsund räumen Preise bei renommierten Craft-Beer-Events im In- und Ausland ab. Beim „Berlin Craft Bier Fest“ im Mai zeigten elf Mikrobrauereien auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain, was das Bierfass tatsächlich hergeben kann. Mehr als 6.000 Besucher kamen und probierten Sorten wie das würzige „Holy Shit Ale“ von Schoppebräu, die „Berliner Nacht“ von Brewbaker, die nach Kaffee, Karamell und dunkler Schokolade schmeckt, oder das pfefferige „Szechuan Saison“ von Vagabund. Die Verwendung von ungewöhnlichen Aromen wie Chili oder Pfeffer hat Spengler von Anfang an fasziniert, neben dem Pale Ale und dem Szechuan Saison produzieren die drei Vagabunden auch ein cremiges Coffee Stout. Das darf wegen des Reinheitsgebots zwar nicht „Bier“ heißen, ihren Gästen ist das aber egal.

Ermöglicht wurde „Berlin’s first Community supported Brewery“ übrigens durch Crowdfunding: 20.000 Euro brauchten die drei Amerikaner für Gärkessel, Zapfanlage und Leitungen. Als Dankeschön versprachen die Vagabunden nicht nur persönliche Umarmungen bei jeder Bierbestellung: Ab 50 Euro gab es für die Geldgeber ein exklusives Vagabund-T-Shirt als Dankeschön, ab 500 Euro einen reservierten Barhocker inklusive Namensschild. „Wir hatten am Anfang nicht damit gerechnet, dass so viele Deutsche mitmachen würden. Wir dachten, dass vor allem die Amerikaner, Engländer und Australier in Berlin dabei wären“, sagt Spengler. Die Weddinger Bierbar brummt inzwischen und David Spengler klingt sichtbar stolz über die Nachfrage: „Es ist doch schön, dass alle Berliner unser Bier so mögen.“