BOULEVARD DER BESTEN: SUSANNE STIEFEL : Die Frau von „Kontext“
Susanne Stiefel ist mitten in einer Geschichte über Gewalt, Grausamkeit und Missbrauch. Es geht um gequälte Kinder in den Heimen der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal, dem frommen Zentrum des baden-württembergischen Pietismus. „So will ich arbeiten“, sagt Stiefel, „nicht eine Geschichte zum Tränenrühren schreiben, sondern eine, die etwas aufwühlt und wo in der Folge etwas passiert.“ Das Auftaktstück hieß „Kinderhölle Korntal“. Seither reiht sie Text an Text und hat eine gesellschaftliche Diskussion ausgelöst.
Stiefel spricht am Telefon aus den Stuttgarter Redaktionsräumen von Kontext:Wochenzeitung. Stimmlage Alt, leichtes schwäbisches Timbre. Sie ist keine Mitarbeiterin der taz, sondern Gründungsmitglied des politischen Magazins für Baden-Württemberg, das vor dreieinhalb Jahren auf zwei Verbreitungskanälen startete: als Internetmagazin und als gedruckte Ausgabe in der Wochenend-taz. Onlinejournalismus ohne Werbung, finanziert von Spendern, denen eine publizistische Alternative wichtig ist – und der taz. Wo derzeit junge Projekte wie „Krautreporter“ hinwollen, da ist Kontext bereits. „Okay, wir sind nicht die Jungen“, sagt sie, „aber im Grunde sind wir die Vorreiter.“ Sie zeigen, dass es geht: wenn man zu Honoraren unterhalb von taz-Gehältern arbeitet, flach hierarchisch, aber möglichst rund um die Uhr, Überlebenskämpfe inbegriffen. Vor Kurzem hat sie als Printverantwortliche mit dem Berliner Grafiker und langjährigen taz-Mitarbeiter Michael Uszinski eine behutsame Überarbeitung des gedruckten Magazins entwickelt, das seit letztem Wochenende in der neuen Form erscheint. Ziel: weniger Experimentierwerkstatt, mehr hintergründiges Magazin. Uszinski habe die komplizierte Aufgabe glänzend gelöst, findet Stiefel.
Susanne Stiefel ist gebürtige Stuttgarterin, Buchautorin, Feministin und war viele Jahre Chefreporterin von Sonntag Aktuell, einer Sonntagszeitung mit Millionenauflage. Allüren, notorische Besserwisserei und den handelsüblichen Zynismus der Branche hat sie nicht zu bieten. Während es die Besserwisser aber notorisch beim Hadern belassen, startete sie mit Kontext mutig durch. Wie oft hat sie es bereut? „Keine Sekunde“, sagt Stiefel. PETER UNFRIED