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Archiv-Artikel

Fahrplan zur Integration

Für die rechtliche Gleichstellung des Islam braucht es einen Gesamtverband, der alle Muslime in Deutschland vertritt. Der Staat sollte dabei Geburtshilfe leisten

Volker Beck ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer und menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen. Für seine Partei führte er in der letzten Wahlperiode auch die Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz.

Die rechtliche Integration des Islam in Deutschland ist mehr als unbefriedigend. Deshalb ist die Forderung des neu gegründeten „Koordinierungsrats der Muslime in Deutschland“ nach rechtlicher Gleichstellung nur berechtigt. Auch Menschenrechtler und sogar Kirchenvertreter kritisieren die mangelnde rechtliche Anerkennung des Islam: Sie verletze die Religionsfreiheit der hier lebenden Muslime. Den christlichen Kirchen und der jüdischen Religionsgemeinschaft garantiert ihr Status als Körperschaften des Öffentlichen Rechts die Ausübung ihrer – verfassungsrechtlich verbrieften – kollektiven Religionsfreiheit. Sie verfügen über repräsentative Organe, die dem Staat eine enge Kooperation und den Dialog ermöglichen. Beim Islam fehlt dergleichen bislang.

In dieser Lage kann es sich die Politik nun einfach machen: religionsrechtliche Gutachten attestieren, dass der Islam wesentliche Voraussetzungen für Regelungen „nach der derzeit gültigen Rechtsordnung“ nicht erbringt: Daran scheitere die Gleichstellung, stellt der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in einem Gutachten nüchtern fest. Auch manche islamische Funktionäre denunzieren jeden Schritt zur organisatorischen Anpassung an das deutsche Recht als „strukturelle Assimilation“ und „Verkirchlichung“.

Also die Hände in den Schoß legen? Nein, denn es wäre falsch, diese Frage auf die lange Bank zu schieben und vorzugeben, lieber „kurzfristig“ die Probleme im Zusammenleben ausräumen zu wollen. Denn der Gleichstellung des Islam liegen gewichtige staatliche Interessen zugrunde: Sie liegt im integrationspolitischen Interesse, denn mit der Stärkung und der Beteiligung der liberalen und moderaten Muslime in Deutschland können fundamentalistische Einflüsse zurückgedrängt werden. Sie ist aber auch ein verfassungsrechtliches Muss: Das Grundgesetz verlangt, dass die kollektive Religionsfreiheit auch für die Muslime verwirklicht wird.

Mit einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft der Muslime ließe sich das Curriculum eines islamischen Religionsunterrichts in deutscher Sprache vereinbaren sowie ein Zeitplan für dessen flächendeckende Einführung. Es könnte die Ausbildung der Imame an deutschen Universitäten geregelt werden, und islamische Lehrer und Rechtsgelehrte könnten ihre Ausbildung oder zumindest eine Prüfung unter staatlicher Aufsicht machen. Ähnlich wie in Österreich: Dort bildet die Islamische Religionspädagogische Akademie in Wien seit 1998 in einem dreijährigen Diplom-Lehrgang Imame mit finanzieller Unterstützung des Staates aus. Auch ließen sich Regelungen für Gebetsmöglichkeiten in Krankenhäusern und die seelsorgerische Betreuung von Gefangenen durch Imame finden. Konsequent wäre auch eine Partizipation der Muslime im Programm des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks: Analog zum „Wort zum Sonntag“, bekämen Muslime einen Anspruch auf ein „Wort zum Freitag“.

Geht es nach den großen muslimischen Verbänden, soll es bald so weit sein: Der neu gegründeten „Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland“ fordert die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechtes. Aber ein reiner Dachverband ist nach unserem Recht noch keine Religionsgemeinschaft und erfüllt noch lange nicht die Voraussetzungen einer Körperschaft. Auch vertreten selbst die fünf großen Verbände – Zentralrat der Muslime, Islamrat, die Türkisch-Islamische Union (Ditib), der Verband der Islamischen Kulturzentren sowie die Alevitische Gemeinde Deutschland – zusammen nur rund 15 Prozent der Muslime in Deutschland. Sie haben höchst unterschiedliche Interessen, repräsentieren oft nur eine Strömung innerhalb des Islam, zum Teil werden sie vom Ausland beeinflusst.

Drei dieser Verbände gelten als fundamentalistisch orientiert, ein Teil ihrer Mitgliedsorganisationen wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Die große Mehrheit der liberalen Muslime wird von ihnen jedenfalls nicht vertreten. Darum aber muss es gehen. Denn eine Religionsgemeinschaft muss zumindest jene Menschen organisieren und im Rahmen ihrer Statuten auch an der Willensbildung beteiligen, für die sie zu handeln beansprucht.

Es gibt genügend Gründe, die religionsrechtliche Gleichstellung nicht naiv anzugehen, sondern genau hinzuschauen: In Deutschland gibt es fundamentalistische Strömungen, denen immerhin über 32.000 der geschätzten 3 Millionen Muslime zuzurechnen sind. Sie dürfen nicht auch noch überproportionalen Einfluss auf die Vertretung der Muslime bekommen.

Dass in Deutschland fast alle Hoffnung allein auf der Eigeninitiative der Muslime ruht, hat jedoch Verfassungstradition. Während Staaten wie Spanien, Österreich oder Frankreich längst Modelle entwickelt haben, die eine Gesamtrepräsentanz der Muslime ihres Landes sicherstellen, wird bei uns gerne auf die Neutralitätspflicht des Staates hingewiesen: ein Argument, das alle Bemühungen im Keim erstickt. Dabei hat sich sogar der streng laizistische französische Staat mit Schaffung eines „Islamrats“ als Geburtshelfer betätigt. Und in Österreich steht die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) als autorisierte Ansprechpartnerin des Staates in allen religiösen und gesellschaftspolitischen Fragen zur Verfügung.

Im österreichischen Islamgesetz von 1979 wird bestimmt, dass alle Muslime, die ihren Aufenthalt in Österreich haben, dieser Gemeinschaft angehören. Bei uns verweist man indes mutlos auf das Staatskirchenverbot des Grundgesetzes. Dabei sagt dieses nicht, dass es zwischen Staat und Religionsgemeinschaften keine Kooperation geben darf: Eine Zusammenarbeit ist geradezu geboten, wenn sie sich am Gebot von Neutralität und Gleichbehandlung orientiert.

Von den Muslimen ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als von den zwei christlichen Kirchen zu verlangen Wolfgang Schäubles „Islamkonferenz“ sollte sich Österreich oder Frankreich zum Vorbild nehmen

Es muss nicht wie in Frankreich oder Österreich eine „staatliche Zangengeburt“ werden. Wenigstens einen Fahrplan zur Gleichstellung müsste Wolfgang Schäubles „Islamkonferenz“ zwischen dem Staat – also Bund und Ländern – und den islamischen Verbänden aber schon vereinbaren. Der Staat sollte dabei Hilfestellung leisten, indem er muslimischen Verbänden hilft, die Voraussetzung unseres Religionsverfassungsrechtes zu erfüllen, ohne bei diesen Voraussetzungen jedoch Rabatt zu gewähren.

Wer Katholik oder Protestant ist, wird von der jeweiligen Kirche als Mitglied geführt und besitzt das Wahlrecht zu den Vertretungsorganen der Gemeindemitglieder, bei den Protestanten auch zu den Synoden. Für diese Mitglieder handelt dann auch die Leitung der Religionsgemeinschaft gegenüber dem Staat. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger als von der Kirchen ist auch von den Muslimen zu verlangen.

Die Integration des Islam in unser verfassungsrechtliches System ist eine Chance für die Integrationspolitik – und ein Zeichen für die Wertschätzung, die wir anderen Kulturen entgegenbringen. Es wird Zeit, den Muslimen diese Wertschätzung entgegenzubringen – zu den gleichen Bedingungen wie für andere Minderheiten auch. VOLKER BECK