BETTINA GAUS über FERNSEHEN
: Unkontrolliertes Glücksspiel

Vielen Dank, liebe Experten, für Ihre Warnungen. Aber ich bin volljährig und kann selbst entscheiden

Das Leben birgt viele Gefahren und führt bei den meisten Menschen zum Tode. An Langeweile stirbt man bisherigen Erkenntnissen zufolge allerdings nicht. Bisherigen Erkenntnissen zufolge. Wissenschaftler können das Weltbild bekanntlich radikal verändern. Ziemlich lange galt es durchaus als vernünftig, die Erde für eine Scheibe zu halten.

Wenn Forscher einige Testpersonen vor einem Bildschirm versammelten und diese verpflichteten, ein Pokerturnier im Fernsehen anzuschauen, dann gäbe es meiner Ansicht nach unerwartet viele, spontane Todesfälle zu beklagen. Und eine wissenschaftliche Sensation zu bejubeln. Weil somit der Nachweis erbracht wäre, dass man eben doch an Langeweile sterben kann.

Umgekehrt gilt: Wenn einen die Langeweile da nicht umbringt, dann können Gefühle nicht töten. Folglich auch sonst keine bleibenden Schäden anrichten. Es gibt nämlich nichts Öderes, als tatenlos einem Spiel zuschauen zu müssen, das ziemlich viel mit Glück zu tun hat.

Finde ich. Gerhard Meyer, Leiter des Instituts für Psychologie und Kognitionsforschung an der Universität Bremen, sieht das anders. Für den Experten der Glücksspielsucht steht fest: Das sprunghaft angestiegene Interesse an Spielen wie Poker lässt sich auf Fernsehübertragungen und auf das Internet zurückführen. Das hält er für höchst gefährlich.

Die Live-Übertragung im Sportfernsehen verschleiere den Glücksspielcharakter von Poker. So Meyer. Bei PC-Spielen gebe es „keine soziale Kontrolle wie im Casino“. Wenn man immer höhere Beträge setze, dann falle das kaum jemandem auf. Man könne „sogar betrunken an einem Spiel teilnehmen“.

Als ob es im real existierenden Casino eine wirksame soziale Kontrolle gäbe. Dass ich nicht lache. Solange ich meine Spielzüge noch ausführen kann, so lange interessiert sich dort überhaupt niemand dafür, wie viel ich getrunken habe. Oder ob ich pleite bin, meinen Ehemann schlage, einer radikalen politischen Minderheit angehöre und Tiere quäle.

Eine „hohe Suchtgefahr“ sieht Gerhard Meyer im Poker. Als „bedenklich“ wertet er deshalb die Übertragung von Pokerturnieren im Fernsehen. Er sieht den „Staat gefordert“. Und findet, es sollten staatliche Präventions- und Beratungsangebote eingerichtet werden. Was für ein origineller Einfall.

Verschont mich. Bitte, bitte: Verschont mich! Ich möchte weder beraten noch präventiv vor mir selbst und meinen Abgründen bewahrt werden. Ich bin über 18 Jahre alt, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte – und ich habe es ganz ungeheuer satt, beschützt zu werden. Vor Tabakrauch, vor Spielkarten, vor Diätpillen, vor Videospielen. Wovor noch? Vor Schokolade, vor schlechten Büchern, vor dem Sprung aus dem 21. Stock?

Ich habe im Casino gespielt. Ich habe ein paar hundert Euro dort verloren. Damit beginnt und endet die Tragik meiner persönlichen Geschichte. Weder habe ich dem Teufel meine Seele verkauft noch meine Tochter einem zufällig vorbeireisenden Sklavenhändler angeboten. Ein einziges Mal habe ich in einer Spielbank meinen Bargeldbestand am Geldautomaten aufgefüllt. Und kurz – sehr kurz – danach festgestellt, dass dies keine gute Idee war. Ganz ohne staatliche Beratung.

Möglich, dass manche Leute der Spielsucht verfallen, wenn niemand sie warnt. Möglich, dass manche Leute nur deshalb aus dem 21. Stock springen, weil ihnen niemand gesagt hat, dass dies gesundheitsschädlich ist. Aber müssen wir anderen uns wirklich jede banale Warnung gefallen lassen – nur weil es Idioten gibt?

Auch das Recht auf eigene Unvernunft ist ein Menschenrecht. Ich erhebe Anspruch darauf. Und ich wünsche, als mündige Bürgerin endlich nicht mehr mit ungebetenen Ratschlägen belästigt zu werden, wenn ich mich dafür entscheide, ein gewisses Risiko einzugehen. Zum Beispiel: die Chips im Gegenwert von 40 Euro, die ich kürzlich zum Geburtstag geschenkt bekommen habe, sinnlos in der Spielbank zu verprassen. Lasst mich doch einfach mal in Ruhe, Experten.

Fotohinweis: BETTINA GAUS

FERNSEHEN Fragen zur Sucht? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN