piwik no script img

Archiv-Artikel

TÜV-Fusion wird zum Sicherheitsrisiko

ExpertInnen fürchten um die Qualität der Lebensmittelkontrollen, falls TÜV Nord und TÜV Süd fusionieren. Denn beide Konzerne sind auf einzelnen Märkten schon heute dominierend. Das Kartellamt wird die Fusion bald überprüfen

VON MORITZ SCHRÖDER

Seit Mitte März steuert der Prüfkonzern TÜV Süd auf eine Fusion mit der konkurrierenden TÜV-Nord-Gruppe zu. Gestern wurde bekannt, dass die beiden Unternehmen sich noch bis Ende diesen Jahres zusammenschließen wollen. Gemeinsam wollen sie das nach der Schweizer SGS zweitgrößte Zertifizierungsunternehmen der Welt mit 18.000 Beschäftigten aufbauen, wenn das Kartellamt zustimmt.

Schon lange ist aus dem „Technischen Überwachungsverein“ ein Unternehmen auf der Jagd nach kommerziellem Erfolg und immer größeren Marktanteilen geworden. Allein der Konzernumsatz der TÜV Süd AG legte vergangenes Jahr um 13 Prozent zu, auf fast 1,17 Milliarden Euro, wie der Vorstandsvorsitzende Peter Hupfer gestern mitteilte. Autountersuchungen machen jedoch nur noch ein Drittel des Geschäfts vom TÜV Süd aus. Daneben bietet er heute ne- ben einem Anti-Stress-Training für Angestellte etwa die Kontrolle von Lebensmitteln und die Überwachung von Zugstrecken an.

Mitbewerber verfolgen die Fusionsabsichten der beiden TÜV-Ableger mit Sorge. Denn insbesondere kleinere Unternehmen fühlen sich von der Marktmacht des fusionierten TÜVs bedroht. Sie fürchten Kampfpreise des marktbeherrschenden TÜVs, bei denen die Wettbewerber nicht mehr mithalten können.

Holger Schulze, Mitarbeiter am Lehrstuhl Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte an der Universität Göttingen, warnt vor „Preisdumping“ bei der Lebensmittelkontrolle als Folge der Marktkonzentration: „Die Prüfqualität würde durch die Fusion zunehmend infrage gestellt.“ Denn wo es wenig Konkurrenz gibt, drohen die Prüfstandards zu verlottern. „Manche Regionen werden schon heute nur von einem Anbieter abgedeckt“, sagt Schulze.

Bislang zertifizieren auch andere Privatanbieter Lebensmittelproduzenten. Ihre KundInnen sind Viehhalter genauso wie Fleischhändler. Die Kontrolle reicht von der Qualität der Lebensmittel bis zu Hygienevorschriften im Stall. Laut Marketingexperte Schulze haben die TÜV-Konzerne in diesem Bereich bereits einen großen Anteil am Markt. Auf taz-Anfrage wollten die beiden Unternehmen dazu keine Angaben machen.

Die Göttinger WissenschaftlerInnen warnen vor möglichen Folgen der Marktkonzentration: „Zertifizierungsstellen, die sorgfältig und somit kostenintensiv kontrollieren, werden allmählich vom Zertifizierungsmarkt verschwinden.“ Laut einer Studie des Göttinger Instituts von November 2006 soll es sogar zu telefonischen Überprüfungen von Betrieben gekommen sein.

Doch auch in anderen Branchen sind die beiden TÜV-Konzerne stark. Etwa bei den medizinisch-psychologischen Untersuchungen (MPU), den sogenannten Idiotentests für auffällige AutofahrerInnen: hier gehören TÜV Nord und TÜV Süd laut Bundesanstalt mit 114 von 220 bundesweit über 50 Prozent der Begutachtungsstellen.

In dieser Branche rechnet Rüdiger Born, Geschäftsführer des Bundesverbandes niedergelassener Verkehrspsychologen, mit steigenden Preisen, wenn die Konzerne verschmelzen. Das würde den „Idiotentest“ zwar nicht betreffen, da dort der Staat die Preise vorschreibt. Bei den zahlreichen freiwilligen Beratungskursen, die der TÜV etwa zur Vorbereitung auf die MPU anbietet, bestimmen jedoch die Unternehmen die Preise.

Teilweise würden TÜV-Beratungsstellen ihre starke Stellung vor Ort ausnutzen und einen teuren Vorbereitungskurs zur Bedingung für eine positive MPU machen, kritisiert Born. Ein TÜV-Nord-Sprecher bestreitet den Vorwurf: „Das ist abwegig.“ Im Online-Forum „Verkehrsportal.de“ beschreibt ein Betroffener seinen Besuch beim TÜV Nord so: „Ich war in Bremen bei einem Vorbereitungsgespräch … die haben mir gesagt, ich soll ein Gruppentraining für 960 Euro machen, wenn ich eine Chance auf eine positive MPU haben möchte.“