piwik no script img

Archiv-Artikel

Eine grauenhafte Tat

Im Knastmord von Siegburg erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Zellengenossen des Opferr. Dem Gefängnispersonal konnte hingegen kein schuldhaftes Verhalten nachgewiesen werden

AUS BONN PASCAL BEUCKER

Wie es sich für gute Christen gehört, lasen sie dem Delinquenten noch aus der Bibel vor. Auch eine letzte Zigarette wurde ihm gewährt. Dann ging es in der Zelle 104 der Justizvollzugsanstalt in Siegburg ans Sterben. Der Tod dürfte für Hermann Heibach eine Erlösung gewesen sein. Nach fünf Monaten hat die Bonner Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen im Fall des Foltertodes des 20-Jährigen mit der Mordanklageerhebung gegen drei Mithäftlinge abgeschlossen. Zugleich wurden die Ermittlungen gegen fünf Justizbeamte eingestellt, teilte Oberstaatsanwalt Friedrich Apostel gestern in Bonn mit. Ihnen sei nicht nachzuweisen, etwas unterlassen zu haben, was diese „unvorstellbare Tat“ hätte verhindern können.

Dany K., Pascal I. und Ralf A. werden beschuldigt ihren Zellengenossen am 11. November 2006 „auf grausame Weise, aus Mordlust, aus niederen Beweggründen sowie zur Verdeckung von Straftaten“ getötet zu haben. Zuvor hätten die drei zur Tatzeit 17, 19 und 20 Jahre alten Jugendlichen Heibach gemeinschaftlich körperlich misshandelt und sexuell missbraucht und vergewaltigt, sagte der ermittelnde Staatsanwalt Robin Faßbender.

Anhand der Aussagen der Angeklagten und Ermittlungen hat die Anklagebehörde die Tat rekonstruieren können. Ausführlich schilderte Faßbender die letzten Stunden im Leben des wegen Diebstahls inhaftierten Heibach. Die Misshandlungen hätten nach dem Mittagessen begonnen. Die Initiative sei von Pascal I. ausgegangen. Er habe ein Stück Seife in ein Handtuch eingewickelt und dann angefangen, auf seinen Zellengenossen einzuschlagen – so wie er es im Kriegsfilm „Full Metal Jacket“ gesehen hatte. Danach hätten die anderen ihre „perfiden Ideen“ eingebracht, so Faßbender.

Sie knebelten und schlugen Heibach. Ließen ihn sein Erbrochenes aufessen. Zwangen ihn, ihre Penisse in seinen Mund zu nehmen. Vergewaltigten ihn anal mit dem Stiel eines Handfegers, den er danach mit seinem Mund säubern müsse. Stunde um Stunde vergingen. Irgendwann kam „die Idee auf, ihr Opfer ,wegzuhängen‘“ – sie machten sich eine Pro-und-Contra-Liste für oder gegen eine Tötung. Dann beschlossen sie endgültig, Heibach zu ermorden. Nach mehreren Anläufen – die benutzen Kabel rissen – waren sie erfolgreich: Die Bettlakenstreifen hielten. Kurz nach 23 Uhr verstarb Hermann Heibach.

Er hätte gerettet werden können. Gleich zweimal betraten Beamte die Zelle. Aber sie wollen vom Martyrium des Opfers nichts bemerkt haben, obwohl sich Heibach bei diesen „Besuchen“ hätte bemerkbar machen können. „Warum er dies nicht tat, ist uns nicht erklärbar“, sagte Oberstaatsanwalt Apostel.

Der Foltermord löste eine heftige politische Debatte über Gewalt in den Gefängnissen aus. Im Landtag ist inzwischen ein Untersuchungsausschuss eingesetzt worden. Der Leiter der JVA Siegburg und sein Stellvertreter wurden abgelöst.