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Archiv-Artikel

Ein total zeitgemäßes Berlin-Gefühl

COVERKUNST Die Stadt auf Bildern alter Schallplatten: Das zeigt „Berlin on Vinyl“, ein Bildband von Bernd Leyon

Leyon behauptet, das sei der definitive Überblick über Plattencover mit Berlin-Motiven

VON ANDREAS HARTMANN

Wenn man den Plattenladen „Musikdepartment“ in der Kastanienallee im Prenzlauer Berg betritt, fällt der Blick gleich auf das vergrößerte Faksimile einer alten Amiga-Schallplatte aus dem Jahr 1970. „Gross Stadt Rhythmus“ steht auf diesem, das Covermotiv dazu ist die Schönhauser Allee, Ecke Dänenstraße – man könnte vom „Musikdepartment“ bequem zu Fuß dorthin gehen. Menschenmassen tummeln sich auf der 45 Jahre alten Aufnahme auf dem Gehweg, man sieht eine Autokolonne neben zwei Trams, und gerade scheint eine S-Bahn eingefahren zu sein.

Elektrisierendes Motiv

Es ist ein elektrisierendes Covermotiv, das ganz in der Tradition von Walther Ruttmanns Dokumentarfilm „Berlin – Symphonie der Großstadt“ urbane Dynamik widerspiegelt. Das Gezeigte wirkt nostalgisch und doch zeitgemäß, führt zurück in eine untergegangene Ära, gar in einen verblichenen Staat und transportiert doch ein total zeitgemäßes Berlin-Gefühl. Dass man es mit einem Schallplattencover zu tun hat, trägt noch zusätzlich dazu bei, dass beim Betrachter die Zeitmaschine im Kopf zu Stottern beginnt. Vinyl ist dieses alte, totgeglaubte Medium, das plötzlich wieder unglaublich schick und modern ist.

Das Faksimile war Ausgangspunkt für den Bildband, den Bernd Leyon, der Betreiber des „Musikdepartments“, nun herausgebracht hat: „Berlin on Vinyl – Der Blick auf die Stadt über Schallplattencover“. Ein Kunde, so erzählt er, meinte zu ihm, einen Bildband mit derartigen Covern, das wäre doch was. Daraus entstand die Idee, ein Stück Berliner Stadtgeschichte nun anhand von Plattencovern zu erzählen. Es gibt bereits diverse Bildbände mit Plattencovern, etwa diverser Jazzlabels, aus der Punkära oder auch zum Thema Nacktheit, der sich „Naked Vinyl“ nennt. So etwas wie Leyons Stadt-Band gab es vorher erstaunlicherweise noch nicht. Nicht einmal für New York.

Auf 219 Covern kann man bei „Berlin on Vinyl“ eintauchen in Ost- und Westberlin, wie es zwischen 1960 und 1980 aussah. Die Cover selbst transportieren zusätzlich Patina: Sie wurden nicht retuschiert und erscheinen als Nutzobjekte, hier und da wurde auf eines von ihnen gar etwas mit Kuli gekritzelt. Man reist durch Zeit und Raum mit James Last, der vor dem Brandenburger Tor für seine „Berlin-Konzert 87“-Platte posierte, mit den Dixieland All-Stars, die sich für eine Platte Unter den Linden ablichten ließen oder dem Michaelis Chor, der sich für das Covermotiv der Single „Sing-sala-bim“ 1970 unter die Weltzeituhr am Alexanderplatz stellte. Nicht bei jeder Platte bekommt man sofort das Bedürfnis, die passende Musik dazu hören zu wollen, aber die Musik ist sowieso nicht so wichtig bei diesem Buchprojekt. Leyon sagt, er habe sich bei der Recherche für sein per Crowdfunding finanziertes Coffeetable-Book derart in die Materie vertieft, dass er mit Fug und Recht behaupten könne, einen definitiven Überblick über Plattencover mit Berlin-Motiv zu haben.

Beliebter Kudamm

Wahnsinn: Bernd Leyon hat sein Coffeetablebook „Berlin On Vinyl“ per Crowdfunding finanziert

Natürlich würden noch ein paar Platten fehlen, allein das Motiv Kudamm sei derart oft verwendet worden, dass es nur eine Auswahl der interessantesten Cover in den Bildband geschafft habe. Kudamm und Brandenburger Tor, das sind natürlich die beliebtesten Covermotive. Es geht aber auch an die Ränder der Stadt, an die nicht so offensichtlichen Locations. Leyon zeigt etwa auf das Faksimile einer Single aus dem Jahr 1970, von Rote Gitarren, die ihren Kracher „Wachsein im Dunkel“ präsentieren. Die Brücke, auf der die Band steht, sei auf der Fischerinsel, so Leyon, das würden selbst Stadtkenner nicht sofort erkennen.

Selbst Ernst Mosch hat es, wie das Cover einer Platte von 1978 beweist, bis zum Kudamm geschafft. Musiker von überall her scheint Berlin also schon immer fasziniert zu haben, auch Dave Brubeck hat sich für die Gestaltung einer seiner Alben vor dem Brandenburger Tor eingefunden. Viele Urberliner jedoch, von denen man annehmen könnte, sie hätten durch die ganze Stadt posiert, etwa Frank Zander oder Reinhard Mey, scheinen auf Motive aus ihrer Heimatstadt bei der Plattencovergestaltung verzichtet zu haben.

Da Bernd Leyon leider keinen Verlag für sein Bildbandprojekt begeistern konnte, tingelt er nun selbst durch die Buchläden, um dort sein Projekt vorzustellen. Er kommt viel rum dabei auf diesen Touren, an Orten, die er von Schallplattencovern her bereits kennt.

■ Bernd Leyon: „Berlin on Vinyl“. 144 Seiten , 29,90 Euro Bezug über: musikdepartment@gmail.com