IN BADEN-WÜRTTEMBERG IST GÜNTHER OETTINGER JETZT ANGESCHLAGEN
: Das Leben nach dem Überleben wird hart

Der Zentralrat der Juden fordert nicht mehr seinen Rücktritt, und auch SPD-Chef Kurt Beck ist zufrieden mit dem Ministerpräsidenten Günther Oettinger. Abgehakt, sagt selbst der Schriftsteller Rolf Hochhuth, der die von Oettinger verdrehte NS-Vergangenheit Hans Filbingers einst enthüllte. Es scheint fast, als könne der Regierungschef nun in Ruhe weiterregieren, ganz so, wie er es seit einer Woche ersehnt hat. Doch das Leben nach dem Überleben wird hart werden.

Zunächst hat ihn die Affäre in der Stuttgarter Regierungskoalition mit der FDP geschwächt. Bisher waren die Liberalen gefügig bis zur Selbstaufgabe. Werdet nicht frech, die Grünen stehen als Ersatzpartner bereit – mit dieser schwarz-grünen Drohung konnte Oettinger seinen Koalitionspartner klein halten. Die Grabrede und mehr noch ihre Verteidigung durch nationalkonservative Polterer haben zumindest die grüne Basis irritiert und von der CDU entfremdet. Die FDP weiß das und wird sich nicht mehr so leicht nötigen lassen.

Ein politisches Wrack ist Oettinger aber, weil er ganz Deutschland so eindrucksvoll vorgeführt hat, dass er das Regieren nicht beherrscht. Selbst wer seine bizarre Salbung Filbingers guthieß, kommt um diese Feststellung nicht herum. Ein hochrangiger Politiker, zumal der Ministerpräsident eines der größten Bundesländer, muss in der Lage sein, die Wirkung seiner Worte und seiner Entscheidungen in der Öffentlichkeit zu kalkulieren. Er muss zudem abschätzen können, ob er eine Entscheidung in der eigenen Partei durchsetzen kann. In beiden Punkten hat Oettinger in den vergangenen Tagen wiederholt versagt.

Vielmehr hat Oettinger bestätigt, was ihm seine Kritiker auch innerhalb der CDU ankreiden – und das nicht erst, seit er kürzlich badische Kunstschätze verscheuern wollte: dass ihm das Gespür für die Folgenschwere und den Rang von Entscheidungen fehlt. Dass er ein schlechter Redner ist. Dass er sich keinen funktionierenden Arbeitsstab aufgebaut hat. Dass er über keine langfristige Strategie verfügt, sondern von der Hand in den Mund lebt. Sein Hang, bei Auftritten angespannt zu wirken, wird sich in Zukunft eher verstärken: Wer Angst vor erneutem Versagen hat, verkrampft sich noch mehr.

Als Regierungschef ohne Ansehen wird es ihm schwerfallen, gute Leute zu werben und zu halten. Seine Parteifreunde im Bund werden es kaum nötig haben, ihm bei der Durchsetzung seiner Interessen und der seines Landes unter die Arme zu greifen. Dies wird ihm daheim in Baden-Württemberg noch mehr Probleme bereiten. Fast anderthalb Jahrzehnte hat Oettinger auf seinen Traumjob hingearbeitet. Nun dürfte ihm sein Amt erst recht zur Qual werden. GEORG LÖWISCH