: Vom Obstkonsum bis zu KZ-Listen
WANDEL In den Dreißigern Orientierungshilfe für entwurzelte Einwanderer, heute Kulturmagazin: Seit fast 80 Jahren ist das deutsch-hebräische „Mitteilungsblatt“ die Stimme der deutschstämmigen Juden in Israel
VON KLAUS HILLENBRAND
Manchmal, wenn man ganz neu und ganz fremd ist, sind die einfachsten Fragen die wichtigsten. Fragen wie „Was und wie soll der Neueinwanderer essen?“. Im Juni 1935 prangte diese Frage über dem Aufmachertext des Mitteilungsblatts. Und bot damit der seiner Leserschaft, Palästina-Novizen aus Deutschland, Service: „Es empfiehlt sich, rohes Obst und Gemüse vor dem Essen 20 Minuten in eine schwache Lösung von Kalium hypermanganicum zu legen.“ Von diesen Anfängen hat sich das inzwischen in MB Yakinton umbenannte Magazin längst gelöst. Was damals als hektografiertes Blättchen für desorientierte Neueinwanderer aus Deutschland begann, existiert bis heute und hat sich zu einem seriösen Kulturmagazin entwickelt. „Wir sind heute das einzige deutsch-hebräische bilinguale Magazin der Welt“, sagt Chefredakteur Micha Limor stolz.
An einem Vormittag sitzt Limor in einer Strandbar in der Bucht von Haifa. Kurzes Haar, sportliche Figur, die Haut braun gebrannt. Immer wieder muss er das Gespräch unterbrechen, um Bekannte zu begrüßen. Der 72-Jährige war bis zu seiner Pensionierung einer der bekanntesten Fernsehjournalisten Israels. In einer zweiten Laufbahn leitet er die Redaktion des Magazins MB Yakinton, das im nächsten Jahr 80 wird.
Die letzte Verbindung
1935, zwei Jahre nach der Machtübernahme der Nazis, strömen tausende Juden aus Deutschland nach Palästina. Wohlhabende, die sich „Kapitalistenzertifikate“ leisten können, ebenso wie Arme, die auf die Zuteilung eines „Arbeiterzertifikats“ warten müssen. Rechtsanwälte, die mit ihrer Zulassung in der neuen Heimat nichts mehr anfangen können, Verwaltungsdirektoren, auf die keine Direktion mehr wartet, Studenten ohne Studienplatz, Ärzte ohne Praxis. Allesamt Ahnungslose. Sie, die aus Deutschland Ausgestoßenen, sprechen kaum Hebräisch oder Englisch. Palästina ist damals britisches Mandatsgebiet, die Einwanderung streng limitiert. Die Verfolgung der deutschen Juden ist im Zertifizierungssystem der Behörden nicht vorgesehen.
Die Einwanderer aus Deutschland sind ganz anders als die bisherigen Neuankömmlinge. Viele von ihnen stammen aus der Mittelschicht und sind schon etwas älter. Die von osteuropäischen Juden und Arabern geprägte Gesellschaft ist vielen fremd, die Armut erschreckend, die Arbeitslosigkeit hoch.
„Ich fand die Stadt furchtbar schmutzig“, erinnert sich Lotte Norbert an ihre Ankunft in Tel Aviv. Als eine der Letzten kam sie vor Ausbruch des Kriegs 1939 ins Land. Heute lebt die alte Dame in einem Altersheim in Tel Aviv. Nach ihrer Ankunft wandte sie sich an die „Vereinigung deutscher Einwanderer“, erinnert sie sich: „Ich ging zur Olej Germania. Die ollen Germanen, wie man sie damals nannte. Da war eine Frau, die hat mir eine Adresse gegeben. Da sollte ich hingehen, als Dienst- und Kindermädchen. Dort blieb ich zehn Jahre lang.“
„Hitachduth Olej Germania“ ist der vollständige Name de Vereinigung deutscher Einwanderer. Der gab bereits damals das Mitteilungsblatt heraus – und verlegt bis heute MB Yakinton.
Mitte der Dreißiger füllen Annoncen viele Spalten der Mitteilungsblatts. „Kammerjäger sucht Mitarbeiter, möglichst sprachkundiger Chemiker oder Arzt.“ „Zur Errichtung einer Druckerei wird Sozius mit 200 bis 300 Pfund gesucht.“ Oder: „Für eingeführtes Café wird Sozius mit etwas Kapital gesucht.“
Viele, die in Deutschland noch Geschäftsleute waren, wurden gezwungenermaßen Hühnerzüchter. Statt am Berliner Ku’damm leben sie in kleinen Häuschen in Ramoth Haschavim an der Peripherie Tel Avivs, mit dem Stall hinterm Haus. Und lesen das Mitteilungsblatt – als letzte Verbindung zum Alten und unentbehrlichem Ratgeber des Neuen.
In der Strandbar bei Haifa trinkt Micha Limor einen Schluck von seinem Bier. „Meine späteren Eltern kamen 1933, sofort nach der Machtübernahme der Nazis nach Palästina“, erinnert er sich. „Mein Vater war ein richtiger Deutscher. Er hatte nie zuvor darüber nachgedacht, hierher zu kommen. Seine Einwanderung war eine Katastrophe.“ Wie manch anderer, der damals aus Deutschland kam, habe auch er die Landessprache nie richtig erlernt. „Als er 1982 starb, fand ich in seinem Bett eine Ausgabe des Spiegel. Er konnte nicht wirklich Hebräisch sprechen.“
Limor kam 2004 zum Mitteilungsblatt, als Retter in der Not. Die Generation der Einwanderer schwand dahin, ebenso die Auflage. Er erfand das Blatt neu. Vom sperrigen Namen Mitteilungsblatt blieb nur die Abkürzung MB. Dazu kam der Titel Yakinton, der Name einer Blume. Aus einer Zeitschrift machte er ein Magazin.
Der Leserkreis des MB Yakinton umfasst heute auch die zweite, dritte und vierte Generation der früheren Einwanderer. Die Auflage liegt stabil bei etwa 3.500 Exemplaren. Freilich, sagt Limor, gebe es immer wieder Beschwerden über den deutschsprachigen Teil: „Das sei kein korrektes Deutsch, schreiben uns manche der Alten.“ Er hat das Blatt für jüngere Israelis geöffnet. Der größere Teil, 21 Seiten, erscheint auf Hebräisch, 17 Seiten auf Deutsch. Manche ältere Leser hätten sich beschwert. „Aber die Kraft der Alten war damals schon geschwunden“, sagt Limor.
„Wir wollen ein Magazin für Kultur, Soziales und Geschichte machen“, sagt Limor. Die jüngste Ausgabe berichtet über Pessach-Feiern während der Nazizeit, deutschsprachiges Theater in Israel und erinnert an die Anfänge der Psychologie im Land. Und natürlich berichtet das Magazin auch über aktuelle Politik.
Yakinton – dieser Name lehnt sich auch an die Bezeichnung für deutsche Juden in Israel an: Jeckes. Ob das auf ihre gepflegten, in der glühenden Hitze gänzlich unpassenden Anzüge zurückgeht oder einen anderen Ursprung hat, ist bis heute umstritten. „Jeckes, das war auch in schlechten Zeiten ein Stereotyp für Ordnung, Pünktlichkeit und feste Preise“, sagt Micha Limor.
Und es war ein Schimpfwort. Es wurden bittere Witze über ihre angebliche Umständlichkeit und ihren übertriebenen Ordnungssinn gerissen. Selbst wenn es stimmen sollte, dass die meisten dieser Scherze von den Jeckes selbst erfunden wurden, machte es die Sache nicht besser. „Kommen Sie aus Deutschland oder aus Überzeugung?“, war einer dieser Sprüche, der darauf abzielte, dass die meisten Einwanderer aus Mitteleuropa eben nicht der zionistischen Grundsätze wegen eingewandert waren, sondern aus schlichter Not. Ein Stich ins Herz. „Die alten Jeckes tragen bis heute die Narben dieser bösen Witze. Es war erniedrigend“, erzählt Limor. „Heute habe ich einen 17 Jahre alten Enkel, der ganz stolz sagt: ‚Ich bin eine Jecke!‘ “ Aus der Beleidigung wurde ein Ehrentitel für die, die dem israelischen Hang zu Chaos und Hektik widerstehen.
Das Schmähwort Jeckes
Im Mitteilungsblatt der frühen Jahre finden sich keine Jeckes-Witze, überhaupt wird das Schmähwort vermieden. Deutsch gilt damals in Palästina als die Sprache der Nazis, deren Gebrauch in der Öffentlichkeit tunlichst zu vermeiden ist. In einer hebräischen Wochenzeitung heißt es 1935, die deutschen Juden seien „Unwillige, die nicht bereit sind, ihre Lebensweise und ihr Benehmen auch nur im Geringsten zu verändern“, „das Streben nach einem neuen Leben und nach hebräischer Kultur ist ihnen völlig fremd“.
Deutschsprachige Publikationen geraten ins Visier jüdischer Ultranationalisten – etwa die von Arnold Zweig geförderte Zeitschrift Orient, in dessen Druckerei 1943 eine Bombe explodiert. Andere Druckereien erhalten Drohbriefe. Das Mitteilungsblatt entgeht Anfeindungen weitgehend, wohl weil es nicht im Straßenverkauf erhältlich ist.
Angesichts der kritischen Umgebung setzt das Mitteilungsblatt alles daran, seine Landsleute einzugliedern. „Lernt Hebräisch!“ lautet die Parole, regelmäßig werden in der Zeitschrift Kurse für die fremde Sprache angeboten. Das Blatt, das ab 1941 wöchentlich erscheint, klagt über Diskriminierungen gegen „zuletzt Gekommene“ und wirft den Etablierten bei aller grundsätzlichen Zustimmung zum Zionismus vor, zu wenig für die Neueinwanderer zu tun.
Bis Kriegsbeginn sind geschätzte 80.000 deutschsprachige Einwanderer nach Palästina gekommen, darunter etwa 60.000 aus dem Reich. Viele besitzen nichts mehr. Am 17. April 1941 druckt das Mitteilungsblatt einige Hilferufe ab: „Da ich 58 Jahre alt bin, konnte ich mein Brot nicht mehr verdienen. Meine Frau ist krank, nach einer schweren Operation. Bald werden wir auch das Dach über dem Kopf verlieren, weil wir seit 6 Monaten bereits Miete schuldig sind. Wir sind gänzlich unterernährt, ich bin ebenfalls erkrankt und weiß mir überhaupt keinen Rat mehr zu schaffen.“ Die Vereinigung deutscher Einwanderer gründet einen Solidaritätsfonds, das Mitteilungsblatt druckt flammende Spendenappelle.
Das Solidaritätswerk existiert bis heute. Inzwischen unterstützt es bedürftige Rentner. „Es geht um ein menschenwürdiges Leben“, sagt Devorah Haberfeld, Generalsekretärin der „Israelis mitteleuropäischer Herkunft“, wie der Jeckes-Verband nun heißt. Haberfeld, kurzes feuerrotes Haar und ein Nachkriegskind ehemaliger Wiener Juden, beherrscht die deutsche Sprache selbst kaum noch. Sie erinnert sich an ihre Tel Aviver Kindheit: „Wenn mein Vater Deutsch sprach, dann wechselte ich die Straßenseite, um zu demonstrieren, dass ich mit diesem Mann nichts zu tun hatte. Ich habe mich ganz furchtbar geschämt.“ Haberfeld sitzt in ihrem kleinen Büro im ersten Stock in der Rambam-Straße. Sie raucht, das Fenster steht offen. Seit rund 70 Jahren befindet sich in dem für Tel Aviver Verhältnisse uralten und heruntergekommenen Haus die Zentrale der Jeckes – und die des Mitteilungsblatts.
Wie viele Nachkommen deutscher Einwanderer kannte der heutige MB-Yakinton-Chefredakteur Limor Haberfelds Verein nicht. Bis zu einer schweren Krankheit seiner Mutter in den Neunzigern. „Wir entschieden, dass sie nicht länger zu Hause bleiben konnte. Meine Mutter sagte, wir sollten in Jerusalem zur King-George-Straße gehen, zum Büro der ‚Israelis mitteleuropäischer Herkunft‘. Dort schlugen sie ein Altersheim für meine Mutter vor. Ich war beeindruckt von der Einrichtung. Meine Mutter war glücklich.“
Kurze Zeit später kamen die Macher des Mitteilungsblatts auf Limor zu. „ ‚Sie müssen uns helfen‘, hieß es“, erinnert er sich. So begann der TV-Star, Artikel für das schwindsüchtige Blättchen zu schreiben. Und wurde ein paar Jahre später dessen Chefredakteur.
Erfolgsgeschichten
Erinnerungen an die Nazizeit, den Holocaust und die Emigration prägen auch heute noch viele Seiten des MB Yakinton. Vor allem aber berichtet das Magazin über die Erfolgsgeschichte der Jeckes in Israel – wie aus von der jüdischen Mehrheit Verspotteten und Geschnittenen die Entwickler einer neuen Gesellschaft wurden, sei es in der Justiz, in Bibliotheken oder in der Geschäftswelt, wo die Jeckes die Idee des Warenhauses in den Nahen Osten mitbrachten. Dafür stehen Namen wie Pinchas Rosen (Felix Rosenblüth), der erste Justizminister des Landes, dessen Name heute ein Jeckes-Elternheim in Tel Aviv ziert, oder Yekutiel und Samuel Federmann, die, den Nazis in letzter Minute entronnen, die größte Hotelkette „Dan“ mit dem berühmten „King David“ in Jerusalem an der Spitze aufbauten. Stef Wertheimer, geboren 1926 im Badischen, hat als Industrieller und einer der wohlhabendsten Israelis den Aufbau eines „Jeckes-Museums“ unterstützt.
Blättert man durch die heute vergilbten und brüchigen Seiten des Mitteilungsblatts aus den Kriegsjahren, stößt man auf den aus heutiger Sicht bizarren Spagat in der Berichterstattung: Einerseits muss und will man weiterleben. Die Vergangenheit hinter sich lassen. Familien gründen, Wohnungen einrichten, Kinder bekommen, Chanukah feiern und vielleicht sogar in der Pension Kaethe Dan (direkt am Strand gelegen) ein abendliches Konzert genießen.
KZ-Listen und Anzeigen
Andererseits druckt das Mitteilungsblatt eine Seite von Anzeigen für Abendkleider, entfernt Texte über den Horror dieser Jahre. „Die Judentragödie in Europa“ heißt der Aufmacher am 14. Januar 1942. Wie die ganze Welt außerhalb von Nazideutschland kennt auch das Mitteilungsblatt damals noch keine Einzelheiten des Holocaust. Aber es schreibt: „Die Massendeportationen von Juden können nicht anders bezeichnet werden als organisierter Mord, verschärft durch die sinnlose Marterung des Opfers.“
Fast alle der in Palästina Geretteten haben noch Freunde und Verwandte in Deutschland. Auch Lotte Norbert, die alte, wohlfrisierte Dame, die heute in dem Tel Aviver Altersheim wohnt. Wenn sich die gebürtige Badenserin daran erinnert, werden ihre Sätze kurz: „Meine Eltern sind nach Auschwitz gekommen. Die Zwillingsgeschwister sind noch hierher gekommen. Mit dem letzten Schiff von Italien im Dezember 1939. Die Eltern haben es nicht geschafft.“ Doch die Welt interessiert sich zu diesem Zeitpunkt nicht groß für den Massenmord an den Juden in Europa, selbst in Palästina sorgt das Thema nur für wenige Schlagzeilen. Nach Kriegsende in Europa druckt das Mitteilungsblatt immer wieder Listen ab. Lange, kurze und ganz kurze. Unter der Überschrift „Aus Bergen-Belsen gerettet“ folgen nur einige dutzend Namen folgen, die „Theresienstadt-Liste“ füllt immerhin zwei Spalten. Viel mehr Spalten und Namen kommen aber nicht mehr hinzu.
Nach 1945 beginnt die erfolgreichste Zeit für das Mitteilungsblatt. Längst ist es mehr geworden als ein Vereinsblatt für ein paar Jeckes – es wird sie zum liberalen deutschsprachigen Blatt für Politik und Kultur. Bei vielleicht 8.000 verkauften Exemplaren schreiben Berühmtheiten und Geistesgrößen für das Magazin über Alltägliches und Grundsätzliches: etwa Max Brod über „Franz Kafka und der Zionismus“; der Philosoph Martin Buber über die Herausforderungen der neuen jüdischen Gesellschaft; oder Arnold Zweig, der einen „Nachklang 1947“ beisteuert. Robert Weltsch, bis 1938 Chefredakteur der Jüdischen Rundschau in Berlin und nun Chef des Mitteilungsblatts, berichtet von den Nürnberger Prozessen.
Die Auseinandersetzung mit ihrer früheren Heimat, Deutschland, prägt weiterhin einen Teil der Zeitschrift – obwohl sich die Redakteure in ihrem neuen Land heimisch fühlen und die Gründung des Staates Israel 1948 begeistert begrüßen.
Nur wenige Jeckes kehren später dauerhaft nach Berlin oder Frankfurt ins Wirtschaftswunderland zurück. Viele, besonders die Älteren, verweigern bis zu ihrem Tod auch nur einen einzigen Besuch in dem Land, das sie entrechtet und vertrieben hat. So wie die Eltern von Viola Wirssuveski „Nie, nie! Beide sind nie nach Deutschland gefahren. Und dabei waren meine Eltern Deutsche“, erinnert sich Wirssuveski, Jahrgang 32 und langjährige Mitteilungsblatt-Leserin. „Sie waren so empört, dass man sie weggejagt hat. Sie haben auch niemals eine Entschädigung beantragt.“
Doch trotz all dieser bitteren Erfahrungen sind die Berichte im Mitteilungsblatt frei von Rachegedanken. Schon früh lehnen seine Autoren die These von der Kollektivschuld aller Deutschen ab. Berichten zu einem Zeitpunkt über deutsche Widerstandskämpfer, als der Begriff in Adenauers Republik noch ein Schimpfwort war.
Blick auf Deutschland
Das Deutschlandbild der Zeitschrift bleibt ambivalent. Da sind zum einen die Nazis. So schreibt Herbert Friedenthal 1947 von einem Besuch in Berlin: „Ich glaube nicht an die Kollektivschuld eines Volkes. Aber die ich sah – waren das die Unschuldigen oder die Mörder? Hatten sie einmal die schwarze SS-Tracht getragen oder die braune SA-Uniform? Hatten die Frauen geschlagenen, jüdischen Müttern die Pelze geraubt? Wie sehen die Schuldigen aus und die, die von nichts wussten? Man kann sie nicht unterscheiden. Das Misstrauen verließ mich nicht bis auf den letzten Tag.“
Andererseits bleiben die positiven Erinnerungen an das Deutschland vor Hitler und an die Landschaft der eigenen Kindheit. Von der „verschwenderischen Fülle von Grün, dem Reichtum und der Schönheit“, schreibt das Mitteilungsblatt 1950. Über die „unendliche Skala von Farben und Stimmungen, von Formen und Ausblicken“. Der Vergleich mit der neuen Heimat fällt deutlich aus: „Es kommt einem wieder zu Bewusstsein, dass die Natur nicht nur – wie bei uns – grausam und grandios, sondern auch maßvoll und zugleich freigebig sein kann.“
Spätestens in den Siebziger Jahren geht es abwärts mit dem Mitteilungsblatt. Mit den alten Jeckes sterben ihm die Leser weg. Die Zeitung wird dünner, umfasst bald nur noch acht Seiten, eine davon in Hebräisch. Am 29. März 1985 schreibt die langjährige Redakteurin Gerda Luft den Abschiedsartikel. Das Mitteilungsblatt wird eingestellt. „Dank an unsere Freunde, die Leser“, so heißt es auf der Titelseite.
Doch so schnell gibt man nicht auf. Im Juni desselben Jahres wird der Vertrieb wieder aufgenommen, nun erscheint das Blatt monatlich und mit deutlich erweitertem hebräischsprachigen Teil.
Seit der Umstellung zum Magazin und der Einführung des neuen Titels MB Yakinton denkt niemand im ehrenamtlich arbeitenden Redaktionskomitee mehr an eine Pleite – im Gegenteil. In der Strandbar berichtet Micha Limor begeistert von großen Plänen: „Das Magazin soll stärker werden. Wir haben jetzt 44 Seiten. Wir wollen 88 Seiten produzieren, je zur Hälfte auf Deutsch und Hebräisch.“
Die Jeckes mögen aussterben. Doch sie sind zugleich unsterblich. Und mit ihnen das Mitteilungsblatt.
■ Klaus Hillenbrand (53) arbeitet als Chef vom Dienst bei der taz und ist Buchautor. Zuletzt erschien von ihm: „Der Ausgetauschte“ über die Rettung eines jüdischen Jungen vor dem Holocaust (Scherz-Verlag, 2010)