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Archiv-Artikel

„Worüber sollte ich noch wütend sein?“

Diese Woche startet „Inland Empire“, der neue Film von David Lynch. Ein Gespräch über Intuition und Hollywood

DAVID LYNCH, geboren 1946 in Missoula, Montana, trat zu einer Zeit als Regisseur in Erscheinung, als die Aufbruchbewegung von New Hollywood erlahmte. Was später als postmodernes Kino bezeichnet werden sollte, war im Begriff zu entstehen, und Lynch gehörte zu den Geburtshelfern – mit Filmen wie „Eraserhead“ (1978), „Blue Velvet“ (1986) oder „Wild at Heart“ (1990). Auf seine jüngste Kinoproduktion „Inland Empire“ musste man vergleichsweise lange warten; der Vorgänger, der enigmatische Film „Mulholland Drive“, entstand 2001. In der Zwischenzeit hat sich Lynch ausgiebig mit dem Internet (www.davidlynch.com) und der Transzendentalen Meditation befasst.

INTERVIEW STEFAN GRISSEMANN

taz: Herr Lynch, nur zur Beruhigung: In diesem Interview werden Sie Ihre Filme nicht interpretieren müssen.

David Lynch: Gut. Ich mag es nämlich nicht, über Bedeutung zu sprechen. Das geht gar nicht.

Ihre Filme haben, auf unerklärliche Weise, etwas sehr Subversives. In Ihrer Kindheit haben Sie mit Freunden Bomben gebaut und versucht, Swimmingpools in Ihrer Nachbarschaft zu sprengen. Haben Sie manchmal das Gefühl, dass sich das, seit Sie Filmemacher geworden sind, nicht sehr geändert hat?

Doch, doch. In Amerika gilt der Vorsatz, jemanden zu töten, als erschwerend. Wenn Sie jemanden bei einem Unfall töten, ist das strafmindernd. Ich habe absolut keine Intention, subversiv zu wirken. Ich sammle nur Ideen. In manche verliebe ich mich, weil ich durch sie sehe, wozu das Kino fähig ist. Ich bin selbst überrascht, was mich da alles ereilt. Das ist wie am Weihnachtsmorgen, an dem man glaubt, seine Geschenke seien weg, aber dann bringt Santa Claus einen weiteren Stapel mit Präsenten! Man öffnet die Pakete – und da ist alles, was man sich gewünscht hat.

Sie nennen sich einen intuitiven Filmemacher. Dennoch werden Sie für die komplexe Konstruktionsarbeit einer dreistündigen Arbeit wie „Inland Empire“ doch bisweilen auch Ihren Intellekt zu Hilfe nehmen müssen, oder? Gibt es überhaupt Wege, die Ratio beim Filmemachen auszublenden?

Klar. Es gibt Emotion, es gibt Intellekt – und es gibt die Intuition. Am untersten Ende des Farbspektrums finden Sie Rot, ganz oben ist das Blau. Wenn man nun Rot und Blau mischt, erhält man Violett: Das ist für mich dann das Höchste, weil es ein bisschen vom Tiefsten und ein wenig vom Höchsten hat. So sehe ich auch die Intuition: Sie ist ein Instrument, aber auch das benutze ich nicht wirklich. Ich verwende immer nur die Idee, die mir kommt. Ein Beispiel: Sie wollen ein Sitzmöbel herstellen – und plötzlich haben Sie diesen Stuhl vor Ihrem geistigen Auge. In allen Details. Es ist ein ganz neuer Stuhl, der aber nur in Ihrem Kopf ist. Sie stellen nun eine Zeichnung her, dabei entdecken Sie, dass der Stuhl aus Holz und Stahl gemacht ist. Sie sehen dessen Gestalt und zeichnen diese nach. Und Sie prüfen laufend, während Sie zeichnen, ob die Beine richtig aussehen: Sie versuchen, sich an Ihre Idee zu erinnern, versuchen zu rekonstruieren, was genau Sie daran im ersten Moment so sehr geliebt haben. Die fertige Zeichnung wäre dann, metaphorisch gesprochen, Ihr Drehbuch. Sie suchen ein Geschäft auf, um etwas Metall zu besorgen, vielleicht auch ein Holzlager, um Ihre Idee umzusetzen. Sie arbeiten nun bereits intensiv an der Verwirklichung des Films, sind mitten in der Drehphase. So funktioniert das.

Und wo kommt die Intuition ins Spiel?

An genau diesem Punkt. Während Sie drehen, bemerken Sie, dass etwas nicht ganz stimmt, etwas sagt Ihnen, dass Sie falsch liegen. Dies zwingt Sie dazu, Ihre ursprüngliche Idee noch einmal zu überprüfen. So brauchen Sie eine weitere Idee, um Ihre Umsetzung zu korrigieren, um sie stimmig zu machen. Die Intuition sagt Ihnen in diesem Prozess nur, ob sich die Dinge richtig anfühlen oder noch nicht ganz. Wenn Letzteres zutrifft, machen wir eben noch eine Aufnahme.

Haben Sie dieses starke Gefühl, ob etwas richtig oder falsch ist, denn immer schon während des Drehens? Oder manchmal auch erst im Schneideraum?

Nein, nein, nein. Schon beim Drehen. Und ich gebe nicht auf, ehe sich nicht alles – jedes Bild, jeder Ton – korrekt anfühlt. Das war schon beim „Elephant Man“ so, als ich Samuel Barbers berühmtes „Adagio for Strings“ fand. Ich hörte das Stück im Radio und wusste, dass ich genau diese Musik brauchte. Mein Produzent fand heraus, dass es davon etwa sieben verschiedene Versionen gab. Er besorgte sie mir – und keine davon war die richtige! Also besorgte er mehr.

Jene Version, die Sie gehört hatten, war völlig anders?

Es waren haargenau dieselben Noten, aber nur André Previns Version gab mir schließlich das, was ich so sehr liebte. Die Unterschiede sind subtil, aber in solchen Belangen leitet einen die Intuition.

Mit der formal so radikalen Arbeit „Inland Empire“ scheinen Sie zur US-Kinoindustrie endgültig auf Distanz zu gehen. Stimmen Sie da zu?

Ich weiß, wovon Sie reden, sicher. Wenn ich nun sagen würde, „Inland Empire“ sei doch ein geradliniger Hollywoodfilm, würden Sie mich vermutlich für verrückt erklären.

Das würde keinen einzigen Ihrer Filme treffen. Aber dieser neue …

… ist noch abstrakter. Verstehen kann ich das selbst nicht. Alles hängt von den Ideen ab, in die Sie sich verlieben. Dann sind Sie gefangen. Aber es könnte ja sein, dass ich mich demnächst in Ideen verlieben werde, die viel traditioneller sind.

Sie sind also ein Opfer Ihrer Visionen, ein Spielball Ihrer Ideen, werden willenlos in deren Welt gesaugt?

Ja!

Sie kreieren etwas …

Ich kreiere gar nichts! Ehrlich. Keiner von uns tut das. Auch der Koch stellt ja den Fisch nicht selbst her. Er fängt ihn nur, dann präpariert er ihn. Eine visuelle Idee ist genau wie ein Fisch. Sie ist plötzlich da, obwohl sie vor ein paar Augenblicken noch nicht in Sicht war. Sie können nun sagen, ich hätte mir all das doch ausgedacht, meine Ideen aktiv imaginiert. Aber Imagination ist nichts anderes als das Fangen von Ideen. Man muss offen für sie sein, mehr kann man nicht tun.

Sie haben sechs Jahre gebraucht, um von „Mulholland Drive“ zu „Inland Empire“ zu kommen. Wieso ist so viel Zeit vergangen? Wegen der Arbeit an Ihrer Website?

Ja, da ging viel Zeit drauf. Wenn man sich aufs Malen und auf die Musik verlegt, was ich letzthin getan habe – die Ergebnisse sind ja online abzurufen –, kann man nicht zugleich auch Filme machen. Umgekehrt kann man, während man dreht, nicht auch malen oder komponieren. Meine Website hat einigermaßen gelitten in den drei Jahren der Produktion von „Inland Empire“. Aber glücklicherweise hab ich im Internet überaus loyale Mitglieder. Ich hoffe, die sind noch da, wenn ich jetzt zurückkomme.

Stellen Sie noch immer täglich einen selbst gesprochenen Wetterbericht auf Ihre Homepage?

Das mach ich gerade für eine Radiostation in Los Angeles.

Jeden Tag?

Jeden Tag.

Auch wenn Sie in Europa Filmfestivals besuchen, um Interviews zu geben?

Gut, dass Sie mich daran erinnern. Ich hab mich heute bei denen noch nicht gemeldet. Ich muss das sehr bald machen, wirklich. Diese Wetterberichte kann man glücklicherweise von überall her durchgeben.

„Inland Empire“ ist ein Film über Panik. Sind Sie selbst jemand, der leicht Angst kriegt?

Nein. Nur weil ein Fisch kleine Verkrustungen aufweist, wird man nicht davon ausgehen können, dass auch der Koch diese Verkrustungen am Körper trägt.

Neben Ihrer Filmarbeit wälzen Sie kühne Pläne: Sie planen etwa, mit ihrer Stiftung für Transzendentale Meditation, die Sie weltweit bewerben, sieben Milliarden Dollar an Spenden für den Weltfrieden einzutreiben. Wie viel davon haben Sie denn schon?

Sagen wir so: Es ist noch ein ganz schöner Weg dahin. Unser Zwischenziel ist, Ende 2008 25 Millionen Dollar zusammen zu haben. Ein paar Millionen haben wir schon. Und viele, viele Menschen haben damit begonnen, Transzendentale Meditation in Schulen zu betreiben. Wir haben universitäre Forschungsprojekte gestartet. Leute, die schwere Lernstörungen hatten, heilen sich durch das Meditieren selbst. Kinder, die keine Sekunde lang stillsitzen konnten, die auf keine Therapie mehr angesprochen haben, sind plötzlich wie verwandelt: Sie gewinnen innere Ruhe innerhalb weniger Monate. Transzendentale Meditation ist keine Religion – sie ist auch kein Kult. Aber sie funktioniert.

Sie betreiben seit 33 Jahren Transzendentale Meditation. Sie haben erklärt, dass sie den Zorn, den Sie in sich hatten, unmittelbar gedämpft hat.

Nein, ich hab meinen Zorn nicht einfach verdrängt oder irgendwo in mir verstaut, wo ich ihn mühsam unterdrücken müsste. Er hat sich in Luft aufgelöst. Ich wusste plötzlich nicht mehr, worüber ich noch wütend sein sollte. Es ist so seltsam, wie sich dabei alles Negative verflüchtigt. Das ist aber, wie man sagt, Geld in der Bank für den Künstler. Das Positive tut dem kreativen Prozess so gut.

Sie scheinen Ihre Filme gern nach Straßen oder Landstrichen in und um Los Angeles zu benennen: Nach „Mulholland Drive“ haben Sie auch Ihre neue Arbeit nun nach jener Gegend zwischen L. A., San Diego und Orange County betitelt. Was bedeutet Ihnen Los Angeles? Immerhin sitzt dort die mächtigste Filmindustrie der Welt.

Ich kann nur sagen: Ich liebe Hollywood. Ich liebe den Traum, der sich damit verbindet. Das Goldene Zeitalter. Für mich ist diese Ära Hollywoods noch immer sehr lebendig in der Stadt.

Sie sind allerdings nicht der Typ, der es mag, Geschäftsessen in Hollywood zu absolvieren.

Stimmt, aber die Filme, die ich mache, basieren ja nicht auf meinen eigenen Erfahrungen. Und so wie etwa Musik Ideen verändern kann, sind auch Orte in der Lage, das zu tun. Ich lebe in Los Angeles. So bin ich den Ideen, die mir dieser Ort vermittelt, vermutlich ausgeliefert.