: „Noch gibt es den Jan-Ullrich-Effekt“
RADSPORT Jochen Hahn vom U23-Team Stölting über die neue Generation von Fahrern und den Wegfall der alten Helden
■ Der Manager des U23-Teams Stölting ist Diplomphysiker. Die Liebe zum Radsport ließ ihn Profimanager eines Rennstalls werden. Bei der WM in Spanien betreut er heute zwei Medaillenhoffnungen: den Sprinter Jan Dieteren und Silvio Herklotz, der als großes Rundfahrttalent gilt.
taz: Herr Hahn, wie stark hat sich der Untergang der Flaggschiffe wie Team Telekom auf den Nachwuchsradsport ausgewirkt?
Jochen Hahn: Im Augenblick haben wir noch den Jan-Ullrich-Effekt, der Jahr für Jahr eine beachtliche Anzahl von Talenten produziert.
Ein positiver Jan-Ullrich-Effekt?
Der negative kommt auch noch, in drei vier Jahren. Aber momentan profitieren wir davon, dass in den Jahren der großen Erfolge von Jan Ullrich viele Zehn- und Elfjährige vor dem Fernseher saßen und Radsport betreiben wollten. Je mehr Kinder Rad fahren, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich unter ihnen Talente befinden. Allein im Geburtsjahrgang 1990 haben wir vier Fahrer, die in Zukunft Weltklasseleistungen vollbringen können. Der negative Effekt kommt in einigen Jahren. Als 2006, 2007 die Dopingskandale stattfanden, haben sich weniger Zehnjährige zum Radsport hingezogen gefühlt.
Wie hat es sich für junge Rennfahrer ausgewirkt, dass es lange Zeit keinen deutschen Profirennstall mehr gab?
Da ist etwas sehr Interessantes passiert. Man hätte denken können, dass jetzt niemand mehr Lust hatte, Profi zu werden. Dem ist aber nicht so. Die jungen Rennfahrer heute sind sehr motiviert. Ihre Herangehensweise ist sogar reifer als die der früheren Generation. Sie sind natürlich auch mit der Debatte um die Probleme des Radsports aufgewachsen. Das eigentliche Problem, das der Radsport hat, sind aber nicht die fehlenden Teams, sondern dass es in Deutschland nur noch sehr wenige Rennen gibt.
Was ist da alles weggebrochen?
Wir hatten einmal die Deutschlandtour und zehn Landesrundfahrten. Das waren gute Plattformen für die Teams. Übrig geblieben sind nur die Bayernrundfahrt und die Tour de Berlin. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Es ist mit all der Dopingproblematik im Rücken schwierig, Sponsoren zu bekommen. Es gibt aber nur wenig Rennen, wo sie präsent sein können. Aber auch die Rennveranstalter brauchen mehr Geld, weil die Kommunen seit einigen Jahren größere Summen für die Absperrungen bei den Rennen verlangen, um die eigenen Haushalte zu entlasten. Das ist in nächster Zukunft ein größeres Problem als selbst die Dopingproblematik.
Warum machen Sie angesichts dieser Problem überhaupt noch weiter?
Ich liebe den Sport einfach. Und es gibt auch Hoffnung. Was derzeit gut funktioniert in Deutschland, sind die Jedermannrennen. Da sind die Kommunen auch bereit, die Infrastruktur kostenlos zur Verfügung zu stellen. Das könnte man mit Eliterennen kombinieren.
Wie geht Ihrer Beobachtung nach die junge Radsportgeneration mit dem Problem um, im späteren Berufsleben vielleicht mit Doping konfrontiert zu werden?
Diese Fahrer sind mit dem Bewusstsein groß geworden, lieber aufzuhören mit dem Radsport, als sich zu dopen. Jeder hat gesehen, wie die vorherige Generation mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt wurde. Das möchte niemand erleben. Es hat sich aber auch im Profiradsport selbst etwas geändert. Die Zeiten, in denen durch blutbildverändernde Medikamente der Kreis der Anwärter auf einen Rundfahrtsieg enorm vergrößert wurde, sind dank der besseren Dopingkontrollen vorbei. Jetzt sind die, die das natürliche Talent für solche Anstrengungen mitbringen, wieder mehr unter sich.
Das bedeutet, dass nicht nur junge Sportler mit Talenten als Sprinter und Zeitfahrer auf eine dopingfreie Berufssportlerkarriere mit großen Erfolgen hoffen können, sondern sogar solche mit ausgeprägtem Rundfahrtalent?
Genau das ist die Botschaft. Ich merke auch in Gesprächen mit den Jungen, dass sie aufatmen, wenn ihnen das vermittelt wird.
INTERVIEW: TOM MUSTROPH