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Archiv-Artikel

Feindselige Stimmung

FRAUEN Auf dem Sexarbeitskongress giften sich Huren und Frauenpolitikerinnen gegenseitig an. Die geplante Anmeldepflicht geht Prostituierten viel zu weit

„Die Frauen, für die wir Politik machen, sitzen nicht hier“

EVA HÖGL (SPD)

VON ECKHARD GEITZ UND BARBARA DRIBBUSCH

BERLIN taz | Die Kulisse für den Sexarbeitskongress an der Humboldt-Universität in Berlin war ungewöhnlich. Im vertäfelten Hörsaal wurde unter einem auf Putz gemalten Periodensystem das Eckpunktepapier zum Prostituiertenschutzgesetz debattiert. Am Ende der Debatte kam es zum großen Knall. Die Vize-SPD-Fraktionschefin Eva Högl (SPD) echauffierte sich, noch nie habe sie bei einem Kongress eine so feindselige Stimmung erlebt, und stellte in Aussicht, in Zukunft gut zu überlegen, wen sie im Bundestag vertrete.

„Mit uns reden statt über uns“ war das Motto der Tagung, das auf Buttons von Sexarbeiterinnen getragen wurde, die für Fragen bezüglich ihres Berufs zur Verfügung standen. Im Saal saßen rund 200 Leute, mehrheitlich Frauen, darunter viele im Sexgewerbe tätig.

Die Emotionen kochten hoch wegen der geplanten Meldepflicht für Prostituierte. Im geplanten Prostitutionsgesetz der Großen Koalition, über dessen Details SPD und Union noch verhandeln, ist eine solche Meldepflicht vorgesehen. Die Prostituierten sollen ihre Tätigkeit bei der Kommune anzeigen und ein Nachweisdokument erhalten, „das z. B. gegenüber Bordellbetreibern, Behörden und ggfs. Kunden vorgelegt werden kann“, heißt es im Eckpunktepapier zum neuen Gesetz.

Högl sieht in der Registrierung eine Gleichstellung mit anderen Berufsgruppen und verglich die Meldepflicht mit der Anmeldung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Sie bemerkte zur Podiumsdiskussion: „Die Frauen, für die wir Politik machen, die sitzen nicht hier heute.“ Die Zuhörerinnen waren darüber sichtlich irritiert, Högl erntete ein Raunen.

Einhellig argumentierten Undine de Rivière vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) und Simone Wigartz vom Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (BufaS), dass im Sexgewerbe fast alle Erwerbstätigen selbstständig arbeiten und damit über ihre Steuernummer bereits registriert seien. Offenbar gehe es um eine zusätzliche Registrierung, so Wigartz. Sylvia Pantel (CDU) hält diese Aussage für „ein Märchen“. Heute lasse man sich hier eine Nummer geben und morgen eine andere in einer anderen Stadt. Ihr Abschied aus der Diskussion war kühl: „Ich habe hier nichts gelernt, was ich nicht vorher auch schon wusste.“

Cornelia Möhring (Linke) stellte mit Verweis auf die bereits in Wien bestehende Registrierung fest, dass die Meldung keinerlei Schutz gewährleiste. Dort seien alle Opfer, die sich bezüglich Menschenhandel bei den Behörden gemeldet haben, registriert gewesen. Am Donnerstag stellten in Berlin auch die Grünen ihr Positionspapier zum Prostituiertengesetz vor. Sie teilen weitgehend die Position der SPD, sind aber auch gegen die geplante Anmeldepflicht. Wenn etwa in einem Dorf bekannt werde, dass eine Frau der Prostitution nachgehe, sei diese stigmatisiert, sagte die stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Katja Dörner. Erfahrungen zeigten, dass der Datenschutz bei einer Anmeldung nicht genügend gewährleistet sei.

Die Grünen fordern wie die SPD eine Genehmigungspflicht für Bordelle und ein Verbot „menschenunwürdiger Praktiken“ in Stätten wie „Gangbang“, sagte Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünen. Die Hurenorganisationen sind gegen ein solches Verbot. In ihrem Positionspapier sprachen sich die Grünen zudem gegen eine gesetzliche Altersgrenze von 21 Jahren für Prostituierte und gegen eine Kondompflicht für Freier aus, wie es die Union fordert.

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