: „Es wird niemals wieder so sein wie beim ersten Mal“
HEIMAT Die Jungs von Kraftklub gelten als die coolste Rockband des Landes – ihr neues Album „In Schwarz“ stürmt gerade die Charts. Ein Gespräch über frühen Ruhm und das Abenteuer des Bleibens, nämlich in Chemnitz
■ Die Band: Kraftklub, das sind Felix Brummer (25 Jahre, Raps), Karl Schumann (25, Gitarre), Steffen Israel (27, Keyboards), Till Brummer (23, Bass) und Max Marschk (26, Schlagzeug).
■ Die Stadt: Mit dem Song „Karl-Marx-Stadt“ setzten Kraftklub ihrer Heimatstadt Chemnitz und einer renitenten Ost-Identität ein Denkmal.
■ Die neue Platte: Das zweite Album „In Schwarz“ (Vertigo/Universal), mit Hilfe von Guerilla-Marketing lanciert, ist auf Platz 1 der deutschen Media Control Charts.
VON THOMAS WINKLER (GESPRÄCH) UND MIGUEL LOPES (FOTO)
sonntaz: Herr Brummer, Herr Israel, haben Sie sich schon mal Gedanken gemacht, wie Sie demnächst Ihre Brötchen verdienen wollen?
Felix Brummer: Eigentlich als Rockstars, dachten wir. Warum? Spricht da was dagegen?
Sie selbst haben vor zwei Jahren, als Ihr sehr erfolgreiches Debüt „Mit K“ erschien, gesagt: Wie werden ein enttäuschendes zweites Album machen, und dann schmeißt uns die Plattenfirma bestimmt raus. Jetzt ist Ihr zweites Album erschienen …
Steffen Israel: Und das Label hat uns noch nicht rausgeschmissen. Vielleicht ist das Album nicht so enttäuschend, wie wir dachten.
Brummer: Zum Glück sind die Konzerte eh viel wichtiger, unser Schicksal wird live entschieden. Aber dass das zweite Album scheiße ist, das liegt doch auf der Hand.
Ach so?
Brummer: Ja, das ist eine Gesetzmäßigkeit: Jedes zweite Album jeder beliebigen Band ist scheiße. Ich weiß das, ich bin ja auch Fan: Das erste Arctic-Monkeys-Album ist nun mal das großartige, sensationelle erste Arctic-Monkeys-Album. Jedes weitere Arctic-Monkeys-Album ist, so gut es auch sein mag, nur ein weiteres Arctic-Monkeys-Album. Es wird niemals wieder so sein wie beim ersten Mal.
Schon blöd, wenn man immer am ersten großen Wurf gemessen wird.
Israel: Wenn’s so wäre, wäre es traurig.
Brummer: Ach, man muss akzeptieren: So ist das halt. Rumjammern bringt ja nichts. Die einzige Möglichkeit wäre: Man nimmt kein zweites Album auf. Dann wären wir allerdings die coolste Band der Welt, wenn wir uns aufgelöst hätten nach nur einem Album, um kein zweites, enttäuschendes aufnehmen zu müssen. Aber das macht keiner …
Warum denn nicht?
Brummer: Wahrscheinlich, weil dieses Rockstar-Dings zu viel Spaß macht.
Israel: Ich hab da eine Idee: Man lässt das zweite Album aus und macht gleich das dritte.
Brummer: Wir haben tatsächlich mal überlegt, wir nehmen zwei Alben auf und bringen sie dann in umgedrehter Reihenfolge heraus. Nach den erwartbar schlechten Kritiken für das zweite und den dann wieder guten für das dritte Album hätten wir dann die Bombe platzen lassen: Nein, das zweite Album war eigentlich das dritte und umgekehrt.
Solche Gedanken treiben also Rockstars um?
Brummer: Na, man hat ja sonst nicht so viel zu tun.
Kraftklub scheinen sich auch Gedanken über die Welt und deren Zustand gemacht zu haben. Auf Ihrem neuen Album, „In Schwarz“, gibt es Songs, die man politisch verstehen kann, obwohl Sie, Herr Brummer, noch zum Debüt verlauten ließen, politische Songs seien albern.
Brummer: Da waren wir wohl etwas naiv und dachten, wir könnten Politik raushalten. Aber wir haben gemerkt, dass das kompletter Schwachsinn ist. Wenn fünf politisch denkende Menschen in einer Band sind, dann kann das Kollektiv Kraftklub nicht plötzlich unpolitisch sein.
Kam das vielleicht auch von außen? Schließlich wurden euch Ehrentitel zugewiesen wie Stimme einer Generation, Sprachrohr des Ostens …
Brummer: … Puhdys der nuller Jahre.
Das auch?
Brummer: Das hab ich jetzt erfunden. Aber man kann es sich nicht immer aussuchen. Beim ersten Album dachten wir, wir wären unpolitisch, aber dann sangen im tiefsten Westen Tausende Leute plötzlich: „Ich komm aus Karl-Marx-Stadt, bin ein Verlierer, Baby, original Ostler“. Da schwante uns dann schon, das könnte jetzt was bedeuten. Aber eigentlich wollen wir das nicht, Sprachrohr einer Generation sein. Wir haben unsere Jugend hauptsächlich damit verbracht, uns vom Großteil unserer Generation abzugrenzen. Aber wenn das jemand schreibt, kann man auch nichts daran ändern. Wahrscheinlich wollten wir nur glauben, wir wären eine unpolitische Band. Obwohl es für uns immer klar war, wenn die Antifa anfragt, ob wir bei denen spielen, dass wir dieses zarte Pflänzchen dann auch unterstützen. Dazu mussten wir aber nicht extra ein Band-Plenum einberufen und abstimmen.
In einem neuen Song stellen Sie die Zuhörer vor die Alternative: „Revolution oder Berlin bei Tag & Nacht“. Grob übersetzt: Die Masse wird mit Trash-TV ruhig gehalten, sonst würde die Revolution ausbrechen. Gibt es wieder Gründe, zu rebellieren?
Israel: Es gibt immer was, was scheiße ist in der Welt.
Brummer: Es gibt immer Gründe, auf die Straße zu gehen. Im Vergleich zu unserer Elterngeneration, die gegen eine Diktatur auf die Straße gegangen ist, wirkt alles zwar alles kleiner. Aber das muss einen ja nicht abhalten, was verändern zu wollen. Allerdings geht mir das Geheuchel der Leute auf die Nerven. Die sind heutzutage fünf Minuten lang ganz doll wütend. Das reicht dann, um einen Link zu teilen oder eine Onlinepetition zu unterschreiben. Herzlichen Glückwunsch, kann ich da nur sagen. Da haste ja mal richtig was geschafft. Jetzt kannste wieder fernsehen.
Braucht man deshalb immer noch harte, schnelle Musik, um die Leute aus dieser Apathie zu reißen?
Brummer: Ja, Rock ’n’ Roll und Demos sind immer noch gute Mittel, um was zu bewegen. Besser jedenfalls, als auf Facebook den Revoluzzer rauszulassen. Aber natürlich sind nicht alle, die zu uns kommen, wegen der politischen Texte da. Viele wollen auch einfach nur tanzen.
Israel: Eine politische Band zu sein, bedeutet nicht unbedingt, gleich politische Songs zu machen oder sich ausdrücklich aktiv für eine Sache zu engagieren. Es kann auch schon reichen, eine Meinung zu vertreten. Diese Echo-Sache zum Beispiel …
Sie haben 2013 die Verleihung des Deutschen Musikpreises Echo boykottiert, obwohl sie nominiert waren, weil auch die als rechts eingeschätzte Band Frei.Wild unter den Nominierten waren. Daraufhin wurden Frei.Wild ausgeladen.
Israel: Wir hätten nie gedacht, dass das diese Wellen schlägt.
Brummer: Wir haben nicht mal drüber nachgedacht, ob das Wellen schlagen könnte. Wir hatten einfach keine Lust, da hinzugehen. Das war eine Entscheidung, die ist in zehn Minuten gefallen. Wir haben auch nicht beim Echo angerufen und gedroht: Ladet Band Soundso aus, wenn Ihr wollt, dass wir kommen. Wir sind ja dann auch nicht hingegangen, als Frei.Wild ausgeladen waren.
Einen Echo gewonnen haben Sie trotzdem. Sind Sie stolz, dass Sie da etwas bewegt haben?
Brummer: Stolz kann man da nicht sein. Das ist ja keine Leistung, nicht auf eine Party zu gehen. Außerdem hatte das eher positive Auswirkungen für Frei.-Wild. Das passte genau in deren Selbstverständnis: die Außenseiter, die sich gegen die große Weltverschwörung aus Medien und Musikbranche behaupten müssen. Aber dass wir da eine politische Entscheidung getroffen haben, das wurde uns erst im Nachhinein klar. Man muss sehen, dass da, wo wir herkommen …
Bekanntlich aus Chemnitz, der Stadt, der Sie mit dem Song „Karl-Marx-Stadt“ ein Denkmal gesetzt haben.
Brummer: In Chemnitz ist die Frage, ob man rechts oder links ist, nicht unbedingt eine politische. Das ist eine Entscheidung, die wird relativ früh getroffen und nicht ständig hinterfragt. Man ist 15 Jahre alt und links, ein paar Klassenkameraden sind rechts und von denen kriegt man auf die Mütze. Man weiß dann automatisch, mit denen will man nichts zu tun haben, aber die Gründe, warum die so sind, die kennt man nicht unbedingt.
Rechts oder links, war das auch eine Stil- oder Modefrage?
Brummer: Damals? Nicht für mich. Ich hab aber das Gefühl, dass es jetzt gerade wieder sexy wird, auch mal stolz sein zu dürfen auf sein Land. Damit können wir immer noch nicht viel anfangen. Aber grundsätzlich gilt: Eine Band ist keine Zeitung. Wir setzen uns nicht hin und überlegen, welche Themen unsere Hörer interessieren könnten. Aber natürlich fließt in unsere Texte ein, was uns bewegt. Und wenn ein Asylbewerberheim im 40 Kilometer entfernten Schneeberg geplant wird und ein Fackelzug durch die Stadt zieht, dann verarbeitet man das natürlich. Ein anderes Thema, das uns beschäftigt hat, war, dass niemand mehr Lärm verträgt, obwohl er in der Innenstadt wohnen will. Bei uns werden nachts Fußgängerampeln ausgeschaltet, weil das Leute stört. Das ist doch absurd.
Wegen Anwohnerbeschwerden musste auch Ihr Stammclub Atomino umziehen.
Brummer: Das war sogar noch absurder. Da hat sich ein Vermieter beschwert, der Angst um seine Investition hatte, aber selbst auch Gastronom ist. Das sind Denunzianten und Spielverderber, die Hunderten den Spaß verderben und eine ganze Stadt in Geiselhaft nehmen. Aber generell: Man merkt, da passiert was, also schreibt man das auf. Aber man setzt sich nicht hin und sagt: Ich mache jetzt einen Song gegen die Gentrifizierung.
Sie haben mit dem Atomino die Hoffnung verbunden, die Innenstadt um den einst sehr belebten Straßenzug Brühl wieder neu beleben zu können. Eine Art privater Aufbau Ost. Ist das Projekt mit dem Umzug des Atomino gescheitert?
Brummer: Das muss nicht sein. Die Uni zieht ja demnächst da hin, da kann schon etwas entstehen – dann aber ohne Atomino. So ein Club ist aber wichtig als Schmelztiegel in einer Stadt wie Chemnitz, die zwar groß genug ist, dass verschiedene Subkulturen entstehen können, aber zu klein, dass sich die nur miteinander beschäftigen könnten. Auf das Atomino konnten sich alle einigen: Da konnte der HipHop-Produzent mit dem Britpop-DJ und dem Rock-Gitarristen an der Bar sitzen, und so sind interessante Dinge entstanden. Das ist wichtig für eine Stadt, so ein Ort, an dem man sich treffen kann.
Die Frage ist, wer sich dort noch treffen will. Chemnitz, so prophezeiten es Demografen, könnte in 20 Jahren die älteste Stadt Europas sein.
Israel: Bislang war Chemnitz cool genug, um hierzubleiben.
Brummer: Wir wollen nicht da weg. Wir wollen vor allem nicht da wegmüssen, weil es unerträglich geworden ist. Aber ich habe auch keine Lust, in einem Kurort zu leben. Andererseits sind das auch erst einmal nur alte Statistiken. Wir bemerken eher einen Zuzug in Chemnitz.
Ach ja?
Brummer: Ja, seit vielleicht drei Jahren. Keine Ahnung, wo die Leute herkommen, aber sie kommen.
Sind womöglich Sie dafür verantwortlich? Haben Kraftklub das Image der Stadt nachhaltig verändert?
Israel: Das kann ich mir nicht vorstellen. Echt nicht.
Brummer: Nein, das ist Quatsch. Aber tatsächlich haben wir uns eine Zeit lang vereinnahmt gefühlt von der Stadt. Wie Maskottchen. Dabei haben wir ja nur gesagt, dass wir uns nicht dafür schämen, aus Chemnitz zu kommen, dass wir uns da wohlfühlen. Wir sind aber auch nicht stolz darauf. Chemnitz ist nicht die beste Stadt der Welt. Wir sind keine Werbeträger: Kommt alle nach Chemnitz! Es ist gar nicht so schlimm hier, wie es aussieht! In den Bächen fließt Milch!
FELIX BRUMMER
Chemnitz war früher eine Stadt, über die man nur wusste, dass es dort schlimm sein muss. Jetzt ist es die Stadt, aus der die vielleicht coolste Rockband des Landes kommt. Ist Chemnitz cool geworden?
Israel: Ja, klar. Leipzig ist das neue Berlin, und Chemnitz ist das neue Leipzig.
Brummer: Kann schon sein, dass jemand in Braunschweig, der sich dafür entscheidet, an der TU in Chemnitz zu studieren, dafür weniger hochgezogene Augenbrauen erntet als früher. Aber selbst unser Karl-Marx-Stadt-Song ist ja kein Loblied auf die Stadt. Wenn Chemnitz früher die graue Stadt im Osten war, dann ist Chemnitz jetzt die graue Stadt im Osten, aus der Kraftklub kommen, aber grau ist sie immer noch.
Israel: Vielleicht haben wir das Image der Stadt verändert, aber die Stadt haben wir nicht verändert.
Sie bleiben trotzdem in der grauen Stadt.
Israel: Das kommt darauf, was man machen will. Wenn man Musik machen will, kann man das auch auf dem Dorf machen. Da kann man auch bleiben. Aber wenn man was machen will, was dort, wo man herkommt, nicht möglich ist, dann muss man auch weg.
Brummer: Ich glaube tatsächlich, dass sich da mit dem Internet was geändert hat. Heute gibt es in jedem Kuhdorf schnelles DSL. Da ist es dann egal, wo man sein cooles Start-up aufzieht: in einem Loft in Berlin oder im Wohnzimmer von Mutti. Vielleicht ist es für die Kreativität sogar förderlich, wenn man nicht ständig damit beschäftigt ist, auf Partys zu gehen – sondern sich auch mal langweilt. In der Provinz kann aus Langeweile und dem Mangel an Möglichkeiten leichter Neues, Spannendes entstehen.
Ist Bleiben zum letzten Abenteuer geworden, weil heute jeder um die Welt reisen kann?
Brummer: Auf jeden Fall. Das nervt doch, wenn der 15. Kumpel aus Australien zurückkommt und sagt: Work & Travel, das musst du unbedingt machen.
Diesen Trotz drücken Sie in Ihrer Musik aus? Ihr bekanntester Song ist immer noch „Ich will nicht nach Berlin“.
Brummer: Der Song war nicht gegen Berlin gerichtet. Der sollte nur ausdrücken: Es macht einen nicht automatisch cooler, wenn man in Kreuzberg wohnt. Das färbt nicht ab. Viele denken, wenn sie Berliner sind, werden sie automatisch auch zum großen Kosmopoliten. Die meisten bleiben aber dieselben provinziellen Spackos, die halt bloß in Berlin wohnen.
Israel: Wir drücken das Gefühl derer aus, die weggegangen sind in die Großstadt und dort nicht das geschafft haben, was sie sich vorgenommen haben.
Brummer: Dann kommen sie wieder zurück. Berlin ist nämlich gar nicht mehr so billig. Also erinnern sie sich, dass es diese Stadt Chemnitz gibt, in der man sogar noch billiger wohnen kann, so billig, dass man seinen Rotz machen kann und trotzdem über die Runden kommt. Das merkt man: Viele Verrückte, die zurückkommen und irgendwelches Zeugs machen, und wenn es nur eine Siebdruckwerkstatt ist.
Klingt aufregend.
Brummer: Sehr witzig. Aber man hat halt nur zwei Möglichkeiten: Entweder jammert man, dass nix geht, und haut ab, nach Berlin, Hamburg, Leipzig. Oder man bleibt da und kümmert sich darum, dass sich das ändert.
Nach Berlin können Sie nach diesem Song jetzt eh nicht mehr.
Brummer: Das ist ein Trugschluss. Das ist mir scheißegal. Wir lassen uns nix sagen – erst recht nicht von unseren eigenen Texten. Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.
■ Thomas Winkler, 48, ist taz-Autor. Er wohnt gern bei Berlin
■ Miguel Lopes, 43, Fotograf, mag „Unsere Fans“ von Kraftklub