: Die Mutter aller Glotzenbrutzler
Alfred Biolek – ein vorauseilender Nachruf anlässlich seines Fernsehabschieds
Es kann jetzt jeden Tag passieren: „Leider können wir Ihnen nicht zu 100 Prozent mitteilen, wann die letzte Folge ‚Alfredissimo‘ ausgestrahlt wird. Der WDR entscheidet dies unabhängig“, teilt die Redaktion von „Alfredissimo“ auf Anfrage mit. Diese Ungewissheit ist grausam, selbst wenn man weiß, dass das Ende unausweichlich ist. Schrecklich, wie einen die Medien nach und nach der Orientierungslosigkeit überantworten. Jahrzehnte, ach was, Jahrhunderte gab es diesen Fixpunkt im Leben: Freitag, 16.30 Uhr, Erstes Deutsches Fernsehen. Komme, was da wolle. Wer soll einen denn in Zukunft durchs Leben lotsen, wenn nicht er, Alfred Biolek, die Mutter aller Glotzenbrutzler?
Dabei war es schon lange tabu, den göttlichen Mann zu parodieren, eigentlich seit Beginn der ersten Show mit Wencke Myhre am 6. Januar 1895. Nein, das Thema war durch, alles verboten: das „Hach!“ im Minutentakt, das rollende R oder jene Nasenbewegung, mit der er sich durch die Essensdüfte zu pflügen pflegte; auch die- ser Zahnreinigungssoundtrack, wenn er Fleischfasern nachspürte; vor allem das Räuspergeratter; auch dass er nach ein paar herzhaften Schlucken Wein so ausgelassen werden konnte wie die Butter in seiner handgeschmiedeten Pfanne von Manolo Blahnik – all das war des Nachäffens unwürdig. Alfred Biolek war längst seine eigene Parodie.
Vorbildlich, wie er ab und an eine Mahlzeit vollständig verunglücken ließ, nur um menschlicher zu erscheinen: „Hach!“ Herr Alfred als wandelndes Feuchtgebiet, sprühend vor Charme, die Saucen wurden länger und länger, Zauberei! Nein, über einen solch feinfühligen Mann, der Knoblauchzehen lackiert, bevor er sie schält, scherzt man einfach nicht.
Selbstverständlich war es Sir Alfred völlig egal, wer da antanzte in seiner Sendung. Den Auftrieb der Vorabendzicken und Sporthanseln nahm er hin wie einen Mayonnaisenunfall – und fertig. Seine Gäste hatte er im Griff. Den Lagerfeld, Karl hat er einmal gefragt: „Mussten Sie denn wie jede höhere Tochter auch ein Instrument lernen?“ „Alfredissimo“, das war „Fliege“ minus Spiritualität.
Obwohl als rheinisch-schwäbischer Tscheche aus einem böhmischen Dorf stammend, kochte Signore Alfredo am liebsten italienisch, was ihm eine mediterrane Unbekümmertheit sondergleichen verlieh: „Ich esse am liebsten Geflügel …“, sagte er einmal, „… zum Beispiel Hühnchen oder Kaninchen.“ Was möglicherweise am Wein lag. Irgendwann entkorkte er einmal eine Flasche chilenischen Cabernet mit den Worten: „Chile ist total Südafrika!“
Und diese wunderbaren Gläser, die eigens für die Sendung von freilaufenden, artgeschützten Glasbläsern im nördlichen Apulien mundgeblasen worden waren: „Ich finde, das schmeckt man auch irgendwie!“ Nur logisch, dass die Gläser sich stets wie von selbst leerten. Ohnehin bleibt alles eine Frage der Perspektive: Ist das Glas halb voll oder die Person, die es gerade austrinkt?
Beim Trinken hörte man dann auch immer wieder seinen allerliebsten Satz, dass man sich schon gelegentlich fragen musste: Auf wessen Gehaltsliste steht der Mann noch gleich? „Der deutsche Wein ist ja viel besser als sein Ruf, da hat sich ja eine Menge geändert in den letzten Jahren!“
Er war ein Unikum in der Fernsehlandschaft, die menschliche Entsprechung des Dampfkochtopfs. Er stöhnte und ächzte bei seiner Lieblingsdisziplin, dem Andrücken von noch lebenden Ingwerknollen. Hinreißend, wie er keckerte und „toll, toll“ schnarrte in die absolut knoblauchresistenten Mikrofone. Er war wie ein Ziegenbock beim Liebesakt, powered by Rheinhessenwein, die Saucenflecken stets passend zur Hose. Und wo hat man heute noch diese Souveränität, mit der er eine Flasche frisch gepresstes Olivenöl schwenkte. In Italien war für ihn immer alles frisch gepresst: Olivenöl, Orangensaft, Lösegelder.
Selbst der Autor konnte sich schließlich nicht zurückhalten und hängte ein Foto des Herrn in seine Küche – zum Abschrecken von Eiern.
Jeden Tag kann es nun passieren, und dann haben wir ihn nicht mehr auf dem Schirm: Don Alfredo, unseren Geschmackspapst, il papa del gusto! Den Albert Schweitzer des Kochlöffels. Mille grazie, Bio! Was aber soll aus uns werden, wenn uns jetzt auch die Öffentlich-Rechtlichen im Stich lassen? Kerner und Konsorten, das geht ja rein gar nicht.
THOMAS C. BREUER