: Große Koalition der Konsolidierer
BREMEN-WAHL Extreme Schulden, ein Land in Haushaltsnot: Die freie Hansestadt hat ein hohes Brutto-inlandsprodukt, aber kaum Geld. Fast alle Parteien versprechen im Wahlkampf, sparen zu wollen – nur wo?
■ Wahl: Am Sonntag wählen die Bremer BürgerInnen eine neue Bürgerschaft. Derzeit regiert eine rot-grüne Koalition unter Leitung von Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD). Nach Hamburg, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ist das 2011 die fünfte Landtagswahl.
■ Umfragen: Laut dem ZDF-Politbarometer von Mitte Mai lag die SPD in der Wählergunst bei 37 Prozent, die Grünen kamen auf 24 Prozent. Die CDU lag abgeschlagen bei 19 Prozent, die Linke bei 6. Die FDP würde mit 4 Prozent den Einzug in die Bremische Bürgerschaft verpassen.
■ Besonderheiten: In Bremen dürfen am Sonntag Jugendliche ab 16 Jahren wählen, erstmals in einem Bundesland. Bestimmendes Thema in der Landespolitik ist die Finanzlage. Bremen hat 18 Milliarden Euro Schulden. SPD, Grüne, CDU und FDP haben sich zur Schuldenbremse bekannt. Egal, wer gewinnt – die neue Regierung muss einen harten Sparkurs fahren. (taz)
VON BENNO SCHIRRMEISTER
BREMEN taz | Gewählt wird in Bremen am Sonntag, und wie eh und je bildet die Finanznot den Grundbass dazu, viel eher als zum Wahlkampfthema zu avancieren. Zugleich prägt sie ihn: Wer nichts hat, kann nichts versprechen, geschweige denn verschenken. Außer, wie die Bremerhavener FDP, Fähnchen. Die soll man in Hundekacke stecken.
„Bitte beseitigen!“ steht drauf. Und wenn’s hilft, machen die Dinger Karriere: Denn wie Bremens Schuldenhaufen verschwinden soll, weiß keiner. Er beträgt 18 Milliarden Euro, fast 27.000 pro Nase, und ist im Wahlkampf Gegenstand höchstens von Schaugefechten. Denn eine Mega-Koalition aus Grünen, SPD, FDP und CDU verfolgt im Zweistädtestaat dieselbe finanzpolitische Strategie.
Die heißt: Konsolidierungspfad, ist Teil der bundesweiten Schuldenbremse und besteht aus den Bausteinen Sparen – und Kassieren. Bremen nämlich galt 2008 als Sieger der Föderalismuskommission. In deren Folge schrieb Artikel 143 d des Grundgesetzes die Hilfszahlungen für die föderalen Sanierungsfälle auf 800 Millionen Euro jährlich fest und reservierte davon 300 Millionen für Bremen: Der Kleinste kriegt den größten Batzen. „Das wird außerhalb von Bremen überall als Erfolg Bremens angesehen“, sagt Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD).
In Bremen aber nicht ganz. So hält die Linke den Konsolidierungspfad für ein „neoliberales Enteignungsprogramm“. Und im bürgerlichen Lager behauptet das Ad-hoc-Bündnis B+B, Bremen habe „schlecht verhandelt“. Eine halbe Milliarde jährlich mehr hätte Böhrnsen fordern müssen. „Aber dafür hätte man auch mal auf den Tisch hauen müssen“, so B+B-Kandidat Friedrich-Wilhelm Dopatka, früher SPD-Staatsrat im Bremer und auch im Berliner Senat.
Klingt crazy. Aber tatsächlich sind die Auflagen hart: Die 300 Millionen bekommt Bremen nur, wenn es sein strukturelles Defizit in zehn gleichen Schritten auf null bringt. Derzeit liegt es bei 1,2 Milliarden – ein Viertel des Haushalts. Von dessen 4,1 Milliarden muss Finanzsenatorin Karo Linnert (Grüne) mit 1,2 Personal bezahlen, mit 0,7 Kredite bedienen. Der Sanierungsstau bei Straßen und Gebäuden ist groß. Ach ja, und Sozialausgaben gibt’s ja auch noch: Bremen hat zwar pro Kopf Deutschlands zweithöchstes Bruttoinlandsprodukt. Aber von 660.000 BürgerInnen leben 100.000 in Hartz-IV-Armut. „Bremen hat extreme soziale Schulden“, so Linken-Finanzpolitiker Klaus-Rainer Rupp.
KLAUS-RAINER RUPP (DIE LINKE)
Wo da 120 Millionen jährlich herkommen sollen, bleibt ein Rätsel. So fallen auch die Wahlkampf-Sparvorschläge der Konsolidierer dürftig aus. Die FDP will die 200.000 Euro für den autofreien Sonntag streichen, die CDU über Vermögensverkäufe nachdenken – obwohl Einmal-Einnahmen das strukturelle Defizit kaum beeinflussen. SPD und Grüne wiederum kündigen an, „unblutig“ 950 Stellen zu eliminieren: Das würde für den Sanierungsschritt exakt eines der zehn Jahre dann reichen, wenn jeder dieser Jobs mit 126.000 Euro Kosten zu Buche schlägt.
Und ungelöst bliebe weiterhin die wachsende Last der Kredite: „Ohne Altschuldenregelung hätte man die Konsolidierungsvereinbarung nie unterschreiben dürfen“, sagt Rupp. Und B+B möchte die Sanierungshilfen-Klage vorm Bundesverfassungsgericht wieder aufnehmen, die der Senat gerade erst zurückgezogen hat.
„Klar brauchen wir eine Altschuldenregelung“, sagt Linnert. Und ebenso wichtig sei ein neuer Finanzausgleich, der Sonderlasten wie die Häfen berücksichtigt. Sie setzt dafür auf Diplomatie und die Einsicht, dass „niemandem gedient wäre, wenn einzelne Gebiete abgehängt würden“. Auch die ist, wie alle Hoffnung, vage.