Hamas kündigt die Waffenruhe auf

Nach dem Tod von acht Palästinensern nehmen die Islamisten den Beschuss von Israel wieder auf. Das erschwert den Versuch des neuen Finanzministers, die EU und die USA zum Aufheben der Sanktionen zu bewegen. Zwei Tote bei Familienfehde in Gaza

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Zum ersten Mal seit fünf Monaten haben Hamas-Aktivisten gestern Israel mit Raketen beschossen und den im November vereinbarten Waffenstillstand aufgekündigt. Die Hamas nahestehenden Essedin-el-Kassam-Brigaben übernahmen die Verantwortung für den Abschuss von Raketen und Mörsergranaten, bei dem niemand zu Schaden kam. In ihrer Mitteilung an eine Nachrichtenagentur begründete die Gruppe den Akt als Reaktion auf die „israelischen Verbrechen im Westjordanland“.

Am vergangenen Wochenende hatten israelische Soldaten bei Luftangriffen und Razzien in den Palästinensergebieten mindestens acht Menschen getötet. Armeeberichten zufolge habe die Hamas gestern einen erneuten Versuch unternommen, einen israelischen Soldaten zu entführen. Anfang der Woche stand das Thema Soldatenentführungen auf der Agenda des palästinensischen Parlaments. „Es gibt den Vorschlag, die Operation der Entführung weiterer israelischer Soldaten zu wiederholen“, meinte der ehemalige palästinensische Innenminister Said Siam. „Wir wissen, dass die Besatzung keine andere Sprache versteht.“

Der jüngste Raketenangriff überraschte die Israelis an ihrem Unabhängigkeitstag. Einer Mitteilung der Armee zufolge seien vorläufig keine groß angelegten Reaktionen geplant. Tatsächlich bereitet sich die israelische Armee seit Wochen auf eine erneute Operation im Gaza-Streifen vor mit dem erklärten Ziel, die durch den Schmuggel über Ägypten aufgefüllten palästinensischen Waffenarsenale zu zerstören. Sollte der Raketenbeschuss andauern, ist eine israelische Invasion abzusehen. Die aufgekündigte Waffenruhe erschwert zudem die Mission des neuen palästinensischen Finanzministers Salam Fajad, der nach Gründung der Regierung der nationalen Einheit Mitte März versucht, den Westen zu einer Aufhebung der Sanktionen zu bewegen. Die EU und die USA hatten nach dem Wahlsieg der Hamas Anfang vergangenen Jahres die palästinensische Aufbauhilfe teilweise eingefroren.

„Ich veranschlage die Ausgaben der Palästinensischen Autonomiebehörde auf mindestens 160 Millionen US-Dollar (knapp 120 Euro) monatlich“, erklärte Fajad während seiner jüngsten Reise nach Brüssel. „Was uns zur Verfügung steht, ist nicht mehr als ein Viertel dieser Summe.“ Die USA sagten eine einmalige Hilfszahlung von 59 Millionen Dollar (knapp 45 Millionen Euro) zu, die allerdings nicht in den Verwaltungsapparat fließen sollen, sondern direkt an Palästinenserpräsident Mahmud Abbas (Fatah). Mit dem Geld soll vor allem das Training und Waffen für die Präsidentengarde finanziert werden. Die USA setzen vor dem Hintergrund der schwelenden innerpalästinensischen Auseinandersetzungen auf eine Stärkung der Fatah.

Erst Anfang der Woche kam es erneut zu Schießereien zweier verfeindeter Familien im Gaza-Streifen, bei denen ein zwölfjähriger Junge getötet wurde. Aus Frustration über die mangelnde Kooperation der Sicherheitschefs reichte Innenminister Hani Kawasmeh gut einen Monat nach seiner Vereidigung den Rücktritt ein, den Premierminister Ismail Hanijeh (Hamas) indes zurückwies. Zu Kawasmehs geplanten Reformen gehört die Konzentration mehrerer Sicherheitsdienste in der „Zentrale Innere Sicherheit“.