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Siegfried und der Löwenkönig

DIVERSITÄT Der Tänzer Ahmed Soura kam mit Christoph Schlingensief aus Burkina Faso nach Berlin. In „Hauptrolle“ erzählt er im Ballhaus Ost, wie er den deutschen Kulturbetrieb erlebt

Geschmeidig, kraftvoll und gleichzeitig geerdet fabuliert Soura entlang der angedeuteten Geschichten

Ein Lichtkegel lässt den tiefroten Vorhang verheißungsvoll schimmern. Keine Frage, so kündigt sich der ganz große Auftritt an. Mit diesem theatralen Inventar justiert der Choreograf Christoph Winkler gleich zu Beginn seiner neuesten Produktion „Hauptrolle“ die Erwartungshaltung zwischen Ironie und Ernst. Hinter dem Vorhang schlüpft Ahmed Soura hervor und beginnt die Geschichte eines jungen Mannes aus Burkina Faso zu erzählen. In märchenhaftem Plauderton berichtet er von einem, der früh die Liebe zum Tanz entdeckt, der eine Ausbildung beim Nationalballett in Ouagadougou absolviert, zu Christoph Schlingensiefs afrikanischem Operndorf-Projekt stößt, mit dessen Stück „Via Intolleranza II“ durch Europa tourt und schließlich für die Kunst zwischen den Kontinenten pendelt.

Es ist seine eigene Vita, die Soura hier ausbreitet und mit der Frage zuspitzt: Was ist eigentlich los an deutschen Theatern? Denn egal, wo er sich hierzulande vorstellte, er sei der einzige dunkelhäutige Darsteller gewesen. Die mangelnde Diversität im Besetzungskarussell deutscher Theater ist es also, die Christoph Winkler unter die Lupe nimmt. Wovon Soura auf der Bühne des Ballhauses Ost erzählt, deckt sich mit den Beobachtungen von Murali Perumal.

Im Jahr 2013 schrieb der in Bonn geborene Schauspieler mit indischen Wurzeln einen offenen Brief darüber, wie eingeschränkt die Rollenauswahl an deutschen Bühnen für Akteure mit sichtbarem Migrationshintergrund nach wie vor sei. Klischeehaftes begegne auch ihm immer wieder im Kulturbetrieb, bestätigt Soura. An der Deutschen Oper etwa habe er in Helmut Lachenmanns „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ die Rolle des Mannes im Schacht gespielt, einen Schornsteinfeger also. Warum eigentlich ist ein indischer Hamlet oder türkischer Faust so schwer vorstellbar?

Christoph Winkler entwirft mit „Hauptrolle“ ein Versuchsfeld, das die Möglichkeiten für migrantische Darsteller abtasten will. Dafür wird tief in den Fundus der deutschen Hochkultur gegriffen: Siegfried, Faust und Woyzeck sind die Figuren, denen sich der Solist aus Burkina Faso nähert. Dass der Rückgriff auf die alten Schlachtschiffe des Dramenkanons wohltuend unpathetisch ausfällt, liegt am lockeren Zuschnitt der Inszenierung, die häufig mit Ineinanderblendungen spielt.

Denn Soura stülpt sich nichts über, sondern fahndet vielmehr nach kulturellen Schnittstellen und zeitgemäßen Anknüpfungen. So stellt er etwa dem Nibelungenhelden Siegfried die afrikanische Legende des Löwenkönigs Soundiata Keïta gegenüber und erzählt die Nibelungensage wie ein Griot. Oder er erkundet den Faust’schen Kosmos mit einem Rap auf Margarete. Tänzerisch überzeugt Soura mit einem Amalgam aus zeitgenössischem Vokabular, Zitaten afrikanischer Tänze, Breakdance und Krump. Geschmeidig, kraftvoll und gleichzeitig geerdet fabuliert sein Körper entlang der angedeuteten Geschichten.

Ein wenig verschenkt hingegen wirkt der Versuch, andere Diskursansätze zum Thema Migration aufscheinen zu lassen. Der Regisseur Nuran David Calis verfrachtete im Jahr 2013 in einer Neuverfilmung den Woyzeck-Stoff nach Berlin-Wedding, Kulturenclash inklusive. Im Geschnatter eines eingespielten Fernsehinterviews mit den Machern verschwimmen die thematischen Konturen, derweil Soura ein wenig verloren tanzt.

Am Ende ist das Stück mit seiner Botschaft wieder ganz bei sich, als Soura Fragmente aus Heiner Müllers „Hamletmaschine“ vorträgt. „Ich bin nicht Hamlet, ich bin ich. Ich spiele keine Rolle mehr.“ Dass den Zeilen ein doppelter Boden eingezogen ist, wird nach den gut 60 Solominuten nur zu deutlich.

ANNETT JAENSCH

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