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Archiv-Artikel

„Kein Wettlauf um niedrige Steuern“

Die reichen Bundesländer sollen für die armen zahlen, findet Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff. Bei der geplanten Föderalismusreform II will er verhindern, dass jedes Land Steuerzuschläge erheben kann

HARALD RINGSTORFF, 67, ist seit November 1998 Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern. Der Sozialdemokrat bildete die bundesweit erste Koalition aus SPD und PDS. Als einziges Bundesland lehnte Meck-Pomm 2006 im Bundesrat die Föderalismusreform ab. Ringstorff galt dabei als deren entschiedendster Gegner unter den Regierungschefs und begründete sein Nein mit dem „Rückfall in Kleinstaaterei“.

taz: Herr Ringstorff, Sie haben damit überrascht, dass Ihr Land 2006 keine Schulden aufnehmen musste. Womit werden Sie uns bei der zweiten Föderalismusreform überraschen?

Harald Ringstorff: Ich würde Ihnen gern sagen, dass wir Geberland werden – aber so weit ist es leider noch nicht.

Ihr Land hat als einziges gegen die erste Föderalismusreform gestimmt, die Sie für Murks hielten.

Von „Murks“ habe ich nicht gesprochen, wohl aber von den Schwächen der Reform.

Bei der jetzt geplanten Föderalismusreform II schlagen die Ministerpräsidenten der reichen Länder vor, die ärmeren Länder sollten lieber eigene Steuern erheben.

Schon bei der ersten Stufe der Föderalismusreform wurde vorgeschlagen, dass die Länder Zuschläge auf Steuern erheben dürfen. Das blieb mit gutem Grund eine klare Minderheitenposition – und wird es bleiben.

Warum wollen Sie nicht mehr Geld einnehmen?

Dagegen ist nichts einzuwenden, aber eine weitgehende Steuerautonomie der Länder ist dafür nicht das richtige Instrument. Dies würde lediglich die Differenz zwischen Arm und Reich noch vergrößern. Die neuen Länder haben die durchschnittlich niedrigsten Einkommen der Bundesrepublik. Wenn wir jetzt noch eine höhere Einkommensteuer oder eine höhere Körperschaftsteuer erheben würden, um auf das gleiche Einkommensniveau wie das prosperierende Bayern zu kommen, dann würden uns Menschen und Unternehmen den Rücken kehren. Wir würden letzten Endes noch viel weniger Steuern einnehmen als andere Länder. Deshalb kämpfe ich dafür, dass derartige Vorschläge keine Mehrheit bekommen, um Chancengleichheit für alle zu wahren.

Warum fordern Sie nicht mehr Steuerautonomie? Wenn Sie die Steuern senken könnten, würden doch vielleicht viel mehr Leute an die Ostsee ziehen.

Wir tun nicht gut daran, einen Wettlauf um die niedrigsten Steuersätze zu führen. An den Staat werden gewaltige Anforderungen bei Umwelt, Bildung und innerer Sicherheit gestellt. Diese müssen irgendwie bezahlt werden. Das kann ich nicht mit einem Wettlauf um die niedrigsten Steuersätze.

Hessen zahlt mehr in den Länderfinanzausgleich ein, als es an eigenen Schulden aufnimmt. Ist das gerecht?

Beim neuen Länderfinanzausgleich haben die alten Bundesländer vom Bund auch Mehrwertsteuerpunkte gutgeschrieben bekommen. Dadurch fließt zumindest ein Teil des Geldes in Länder wie Hessen zurück. Außerdem ist Föderalismus in erster Linie nicht Wettbewerb, sondern Zusammenarbeit zum Wohle des Gesamtstaates.

Fakt bleibt: Pro Kopf geben die Hessen im Jahr etwa 260 Euro für den Länderfinanzausgleich aus, aber nur 127 Euro für die eigenen Schulden. Was würden Sie also einem Hessen sagen, wenn er vor Ihnen stünde?

Ich würde ihm sagen: Das Geld hilft uns, schneller auf eigenen Füßen zu stehen. Davon profitieren dann auch wieder die alten Länder. Je besser es den Menschen in Mecklenburg-Vorpommern geht, desto mehr Steuern fließen in den Bundeshaushalt. Die kommen dann auch wieder den Hessen zugute. Ein Beispiel dafür ist Bayern: Es erhielt 30 Jahre lang Gelder aus dem Länderfinanzausgleich und ist heute das wirtschaftliche Musterland.

Aber der Anreiz für die Länder, sich zu entwickeln, ist doch gering. Wer sich nicht bewegt und arm bleibt, wird mit Geld beworfen.

Das unterstellt doch nur wieder, dass sich die ostdeutschen Länder ausruhen würden. Das ist falsch. Jeder Ministerpräsident hat das Interesse, alles dafür zu tun, Unternehmen anzusiedeln, damit Arbeitsplätze entstehen. Sonst würde er auch nicht wiedergewählt werden.

Baden-Württemberg hat ein Gutachten vorgestellt, das den Länderfinanzausgleich als größtes Hemmnis für die eigene Wirtschaft darstellt.

Derartige Gutachten verkennen aber, dass Baden-Württemberg kein eigenständiger Staat ist, sondern Teil der Bundesrepublik. Kooperativer Föderalismus bedeutet auch, die Verantwortung für die Entwicklung in ganz Deutschland zu tragen. Ohne den Finanzausgleich würde die Schere zwischen Nord und Süd und Ost und West noch weiter auseinandergehen. Das kann nicht im Sinne des Föderalismus sein und es ist mit Sicherheit nicht im Interesse meines Landes. Deshalb werde ich allem entgegentreten, was die ausgehandelten Vereinbarungen gefährdet.

Sie sind ja auch in einer komfortablen Situation: Die fünf Geberländer haben im Bundesrat 26 Stimmen, die elf Nehmerländer 48.

Diese Diskussion führt zu nichts, weil die Verteilung nun einmal so ist, wie sie sich derzeit darstellt. Und jeder versucht seine Interessen durchzusetzen. Das mag manchem ungerecht erscheinen. Aber wenn wir über Gerechtigkeit reden, sollten wir auch darüber sprechen, dass sehr viel mehr Geld des Bundes in die Forschungslandschaft und Bildung der Südländer wandert als in die der Nord- und Ostländer. Die Auswahl der Eliteuniversitäten ist dafür nur ein letztes Beispiel.INTERVIEW: DANIEL SCHULZ, CHRISTIAN FÜLLER