: Richtig schön singen
Der modernen Frau eröffnen sich heute im Popgeschäft mannigfaltige Möglichkeiten. Von der konzeptionellen Hitmaschine über die ätherische Geisterbeschwörerin bis zur Indie-Rock-Trommlerin stehen ihr viele Rollen zur Verfügung. Arg aus der Mode gekommen dagegen ist der Entwurf, der selbstbewussten Frauen in der Pop-Steinzeit ein halbwegs selbstbestimmtes Wirken versprach: die Folk-Sirene. Nein, heutzutage will kaum noch ein Mädchen Joni Mitchell oder Joan Baez sein. Fast nur noch Männer mit Hang zum Melancholischen meinen Saiten zu zupfen und Besinnliches über den eigenen Bauchnabel vortragen zu müssen.
Wie immer bestätigen erst die Ausnahmen diese Regel. Wie die aus Berlin stammende, seit sieben Jahren in London lebende Singer/Songwriterin Roxanne De Bastion. Die hatte den in Berlin wohnenden US-Amerikaner Gordon Raphael, der immer noch vor allem von dem Kredit lebt, den er als Produzent des ersten Strokes-Album erwarb, dazu gewonnen, ihr 2013 erschienenes Debütalbum zu betreuen. Darauf waren Stimme und Gitarre allerdings so allein, dass man sich fragen durfte, wozu es überhaupt eines Produzenten bedurfte. Das hat sich auch auf „Seeing You“, der neuen EP, nicht groß geändert. Zwar schwelgt auf einem der vier Songs auch mal ein Klavier, aber in erster Linie geht es darum: So schön singen wie Roxanne De Bastion und dazu Gitarre spielen, das wird anscheinend nie langweilig.
Ebenso wenig wie Sängerinnen, die eine Schwäche für Jazz haben, aber doch lieber Pop machen wollen. Die Folgen sind unabsehbar, klingen mal altbacken, mal aufregend, mal aber auch, so bezeichnet es Veras Kabinett selbst, wie eine Art „independent Kunstlied“. Man könnte auch sagen: Chansons gegen den Strich und mit unerwarteten Klangideen, das alles über Rhythmen, die sich nicht immer in 4/4 notieren lassen. „Ungetüm“ ist das zweite Album des Trios um Vera Mohrs, die sich von der Konkurrenz vor allem durch ihre Texte absetzt. Da kann es um seltsame Kneipenerlebnisse ebenso gehen wie um „die Leere, die uns lähmt“. Die Stimmungen wechseln abrupt, der Grad der Ernsthaftigkeit ebenso. Das hat Humor und nimmt sich im nächsten Moment wieder zu wichtig. Eine Platte, die sich vielleicht mitunter übernimmt in dem, was sie sich vorgenommen hat, aber erstaunlich viele Möglichkeiten zu nutzen versteht.
THOMAS WINKLER
■ Veras Kabinett: „Ungetüm“ (Traumton/Indigo), Record Release: 3. 10., 20 Uhr, Grüner Salon ■ Roxanne De Bastion: „Seeing You“ (Nomad Songs/Broken Silence), live am 5. 10., Zimmer 16