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Archiv-Artikel

Wenn der Akademiker beim Lernen hilft

WEITERBILDUNG Ein Masterstudiengang in Hamburg und Hannover bildet dazu aus, Schüler professionell beim Lernen zu unterstützen. Die Kosten dafür tragen die Teilnehmer selbst. Alle haben schon Studium oder Ausbildung hinter sich, die meisten arbeiten nebenher

Lerntherapie ist keine klassische Nachhilfe. Oft verstecken Kinder Defizite durch Auswendiglernen. Die Lernlücke liegt manchmal Jahre zurück. Sie soll analysiert werden

Als Linda Melcer sich für den Studiengang „Integrative Lerntherapie“ beworben hat, war sie schon seit neun Jahren beim Gesundheitsamt angestellt. Die gelernte Sozialpädagogin hat sich für den weiterbildenden Master an der Uni Hamburg entschieden, weil sie sich eines Tages selbstständig machen will. „Die meisten von uns haben sich irgendwann entschlossen, dass sie noch mal etwas anderes machen wollen“, sagt die 35-Jährige über ihre Kommilitonen.

Nicht nur den aktuellen Stoff wiederholen

Die angehenden Therapeuten sollen später erkennen können, warum ein Kind Schwierigkeiten beim Lernen hat. Oft würden Lernstörungen nicht sofort bemerkt und schaukelten sich im Laufe der Zeit immer weiter hoch, sagt Marianne Nolte, Dozentin und Mitbegründerin des Studiengangs. „Es geht darum herauszufinden, bei welchen Inhalten und warum das Kind nicht mehr mitgekommen ist.“ Dazu würden die Lerntherapeuten mit Eltern, Lehrern und Ärzten zusammenarbeiten.

Die Lerntherapie unterscheide sich von der klassischen Nachhilfe. Man wolle nicht einfach den aktuellen Stoff wiederholen, sondern an grundsätzlichen Strategien und Problemen arbeiten. „Die Basislücke“, nennt Linda Melcer das. Für jedes Kind werde eine passende Methode erörtert. Dabei helfen die Lerntherapeuten den Kindern beim Lesen, Schreiben und Rechnen. Werden diese Kulturtechniken nicht beherrscht, erklären sich zumeist auch die Schwierigkeiten in anderen Fächern, sagt Nolte. Lerntherapie sei auch für Jugendliche noch sinnvoll, selbst wenn die eigentlichen Defizite oft mehrere Jahre, teilweise bis ins Grundschulalter zurückreichten. „Kinder können oft durch Auswendiglernen verstecken, dass sie eigentlich den Inhalt nicht verstanden haben. Das zeigt sich dann meist, wenn zum Beispiel die Rechenaufgaben komplexer werden“, sagt Nolte. In manchen Fällen reiche die integrative Lerntherapie allein nicht aus, dann müssten zusätzliche Maßnahmen empfohlen werden.

„Lerntherapeut“ ist in Deutschland kein geschützter Begriff. Dennoch sei es notwendig, dass die Studierenden eine qualifizierte wissenschaftliche Ausbildung erhalten, findet Nolte. Über zwanzig Menschen immatrikulieren sich jedes Jahr für den Studiengang. In Kooperation mit der Leibniz-Universität Hannover und dem Fachverband für Integrative Lerntherapie wird der Master seit 2010 angeboten.

Voraussetzung zur Teilnahme sind ein einschlägiger Hochschulabschluss und mindestens ein Jahr Berufserfahrung. Allerdings sei fast die Hälfte der Lernenden durch eine Zulassungsprüfung in den Studiengang gekommen. Diese können auch Bewerber ohne ersten akademischen Abschluss absolvieren, wenn sie einen Beruf im pädagogischen Bereich erlernt haben. So seien viele Logopäden, Ergotherapeuten oder Erzieher zugelassen worden.

Der Studiengang ist auf Berufstätige ausgerichtet. Deshalb finden die Lehrveranstaltungen einmal im Monat am Wochenende statt. Dazu kommen Supervisionen, Praktika und eine Blockwoche im Semester. Insgesamt dauert der Master deshalb dreieinhalb, statt der üblichen zwei Jahre.

Die Teilnehmer müssen ihr Studium selbst bezahlen. Fast 10.000 Euro zuzüglich der Semesterbeiträge und Supervisions-Kosten kostet das Ganze. „Für die Finanzierung der beruflichen Weiterbildung ist der Gesetzgeber nicht verantwortlich“, erläutert Michaela Tzankoff, vom der Weiterbildungsstelle der Uni Hamburg. Die Chancen auf einen Arbeitsplatz seien nachher allerdings gut, da der Bedarf an Lerntherapeuten groß sei.

Wenige junge Studierende und wenige Männer

Der Altersdurchschnitt ist höher als bei anderen Masterstudiengängen. „Wenn Interessierte bei mir anrufen und mir sagen, sie seien schon Ende vierzig, dann frage ich: Wo ist das Problem?“, erzählt Tzankoff. Tatsächlich sind in Linda Melcers Semestergruppe nur zwei jünger als 30 Jahre. Bislang ist der Studiengang weiblich dominiert, durchschnittlich würden zwei Männer pro Kurs teilnehmen.

Linda Melcer ist zurzeit mit ihrem zweiten Kind in Elternzeit. Danach will sie weiter in Teilzeit arbeiten und nebenbei studieren. „Ich wollte noch mal einen Wechsel haben“, sagt die Studentin in viertem Semester. „Mir gefällt die Kombination aus Didaktik, Psychologie und Einzelunterricht.“  NORA KOLHOFF