Gefangen im Dylan-Song

HEILIGENVERSEHRUNG Der 70. Geburtstag des Musikers in der Volksbühne ist ein zweifelhaftes, dafür aber weitläufig im Theater verstreutes Vergnügen

Warum sieht der Dylan-Darsteller aus wie Dick Brave mit offenem Hosenstall?

VON KRISTINA RATH

Es ist Montagabend, Bob Dylan wird 70, und die Volksbühne lädt zur Party ein. Für 19 Uhr ist im Sternfoyer eine Podiumsdiskussion angekündigt, eingeladen sind Kulturtheoretiker Klaus Theweleit und Filmemacher Theo Roos. Es ist fünf nach sieben, aber nichts passiert. Ich hole mir ein Bier. Es passiert immer noch nichts. Das mehrheitlich grauköpfige Publikum murmelt, zwischendrin sind ein paar Kastenbrillen und Röhrenhosen zu sehen. Da das Podium leer bleibt, schlendere ich in den Roten Salon.

Dort veranstalten Karl Lippegaus und Bernhard Schütz ein Live-Radiofeature. Lippegaus sampelt Schnipsel einer von Bob Dylan moderierten Radiosendung zu Dylan-Songs. Schütz liest darüber Lyrics in deutscher Übersetzung sowie Prosatexte des Musikers. Bloß passen die gelesenen Songtexte nicht zu den Liedern. Ist das Absicht? „Es kommt ein langsamer Zug um die Biegung auf uns zu“, wiederholt Schütz immer wieder beschwörend den Refrain von „Slow Train Coming“. Dann hängt’s. Lippegaus zieht einen Regler hoch, gibt Schütz ein Handzeichen. Schütz schaut verwirrt. „Das hatten wir doch schon“, sagt er ins Mikro. Lippegaus sitzt ratlos vor seinem Mischpult. „Spiel halt was anderes ein“, rät Schütz. Verhaltenes Lachen im Publikum. Regler hochziehen, Handzeichen: Der Zug rollt weiter.

Gerade hatte man sich daran gewöhnt, dass Schütz’ Übersetzungen endlich mit den Songs übereinstimmen, da ist ganz unvermittelt Schluss. Ratloser Applaus, das Publikum strömt nach draußen ins Sternfoyer, wo die Diskussion in vollem Gange ist: „…er, der von New Orleans nach Jerusalem wandern wollte“, dringt durch Flaschenklirren und Stimmengewirr ein Satzfetzen an mein Ohr. Eine Anspielung auf „Blind Willie McTell“? Ich hole mir noch ein Bier.

Neben dem Roten Salon laufen Filme in mangelhafter Auflösung. Konzertszenen neben langsamen Kamerafahrten entlang einem Frauenbein, der Ton ist kaum zu verstehen. Allmählich komme ich mir vor, als wäre ich in einem Dylan-Song gefangen, so viel Rätselhaftes rauscht an mir vorbei.

Im Roten Salon steht ein junger Mann in Jeans und Cowboystiefeln auf der Bühne. Zerzauste Haare, Gitarre und Mundharmonika legen den Verdacht nahe, dass er Dylan darstellen soll, aber er sieht eher aus wie Dick Brave mit offenem Hosenstall. Seine Imitation ist kläglich, aber vielleicht soll das so sein? Mit einer Frau, die Thomas Pynchon spielt, inszeniert er eine Textcollage von Thomas Irmer. „Verstehst du? Dein Text in meinem Buch, das ist die Parodie der Parodie!“, ruft Pynchon gerade. Ich für meinen Teil versuche zu verstehen, was folgerichtig Dylans Text in Pynchons Buch in Irmers Text ist, scheitere aber.

Endlich beginnt die Dylan-Konzertrevue im Großen Haus. Christiane Rösinger bittet die Italoberlinerin MissinCat auf die Bühne, die mit Augenaufschlag und Kleinmädchenstimme drei Songs verhackstückt. Textsicher ist sie auch nicht. Mein Sitznachbar rollt die Augen: „Ich glaube, das ist part of the deal.“ Der Zug ist nun fast zum Stehen gekommen, und ich frage mich, ob ich in Hobo-Manier abspringen und das Weite suchen soll. Über meinen Bierkonsum habe ich den Überblick verloren. Und dann passiert ein Wunder. Andreas Spechtl von „Ja, Panik“ setzt sich ans Klavier und liefert vier wunderbar minimalistische Versionen. Das Publikum ist elektrisiert, der Zug nimmt Fahrt auf. Kutzkelina jodelt zu Zither und Technobeats. „His Bobness“ nimmt die Jahrtausendwende spielend, und als Kissogram zu Dubstep-Bässen und Synthie-Orgel „It’s All Over Now, Baby Blue“ anstimmen, rasen wir im IC in Richtung Zukunft. Lasst mich rein, bevor sie die Tür schließen!