PAC-MAN AM NACHMITTAG : Impulsneurotiker
Am Morgen hatte ich nichts auf die Reihe gekriegt und jetzt ist es schon Nachmittag. Draußen ist es schön. Ich fühle mich unruhig und spiele Pac-Man. Zum hunderttausendsten Mal. Es geht darum, die diffundierte Aufmerksamkeit wieder zu bündeln und dies Bündel auf das Pac-Man-Spielen zu lenken. Das klappt ganz gut, ich bin nicht mehr unruhig. Mein Spiel ist sinnvoll und konzentriert. Es ist beruhigend, ständig das Gleiche zu tun, ohne etwas zu denken.
Zwei Stunden spiele ich nun schon, das erste Spiel war das beste. Danach bin ich kontinuierlich schlechter geworden. Meinem Ziel, die 25 Level des Spiels erfolgreich abzuschließen, bin ich kaum näher gekommen.
Manchmal unterbreche ich das Spielen für ein paar Minuten, schreibe ein paar Sätze, lese Mails und irgendwelche Propaganda-Artikel im Internet, trinke Kaffee, rauche, esse die zweite Hälfte des Brötchens vom Morgen. Und spiele dann weiter. Manche Level sehen fantastisch aus und haben wunderschöne Farben, andere sind hässlich.
Mein Stil ist drauflos, ich folge meinen Impulsen, riskiere Leben, die jeweils 25.000 Punkte wert sind, nur um einen Geist aufzuessen, der 800 Punkte wert ist. Für Impulsneurotiker ist Pac-Man nicht geeignet. Um erfolgreich zu sein, muss man seine Gier zügeln. Ich kann mich aber nicht von meinen Jagdinstinkten distanzieren. Besonders die kleinen Mandarinen liebe ich. Die Pilze und Kirschen natürlich auch, aber vor allem die Mandarinen. Wenn man sie isst, rennt man plötzlich doppelt so schnell.
Während ich spiele, wird der Laptop immer heißer. Meine Figur bewegt sich immer langsamer. Irgendwann mache ich den Laptop zu und lese in einem Buch. „Spielen“ ist der Titel. Auf dem Klappentext des Buchs steht: „Karl Ove Knausgård. Unfassbar. Gerade mal 200 Seiten gelesen und schon so süchtig, als wäre ich auf Crack.“ Schreibt Zadie Smith. DETLEF KUHLBRODT