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Archiv-Artikel

„Ich möchte das nicht bewerten“

Mit dem Stück „Hikikomori“ betritt das Hamburger Thalia-Theater vermintes Diskursterrain: Junge Leute, die sich in ihrer virtuellen Welt einkapseln, gelten seit den neuesten Amokläufen als problematisch. Ein Gespräch mit Regisseur Dominik Günther

Von WIE

DOMINIK GÜNTHER, 33, studierte Theaterwissenschaften in Bielefeld. Für das Hamburger Thalia-Theater inszenierte er zuletzt „kick & rush“ und „Das Wunder von St. Georg“.

taz: Herr Günther, bei einem Stück, das „Hikikomori“ heißt, fragt man sich doch: Was gehen uns die Probleme japanischer Jugendlicher an?

Dominik Günther: Das Phänomen, das das Wort Hikikomori ausdrückt, dass die sich da zurückziehen und von der Gesellschaft isolieren, ist aus Japan bekannt geworden, weil das ja dort immer extremer wird. Aber es ist auch ein deutsches Problem. Nicht in der Perversität vielleicht, aber die Tendenzen sind ja schon da.

Aus Deutschland kennt man das doch eigentlich nur aus der Diskussion über Killerspiele.

Killerspiele?

Ja, Counterstrike, was diese Schüler gespielt haben, die dann Amok gelaufen sind.

Nee, das kommt jetzt nicht unmittelbar vor. Was die Hikikomoris ausmacht, ist, dass sie sich in erster Linie über die virtuelle Welt kontaktieren, also über Chatrooms. Die Inszenierung ist aber eine Auseinandersetzung mit allen Arten von Isolation.

Die Figur H. in dem Stück lebt jedenfalls in einer virtuellen Welt. Er hat kurz die Chance, da rauszuswitchen, aber schafft es nicht ganz, oder?

Genau, der kontaktiert über Chatrooms, und da kommt es zu Gewalttätigkeiten, er wird zum Chef des Chatrooms und kickt andere Leute raus. Dann lernt er da aber ein Mädchen kennen, das genau seinem Beuteschema entspricht, sie hat rote Haare. Und die bringt ihn fast dazu, seine Isolationshaft aufzugeben.

Ist das jetzt Zivilisationskritik?

Es soll kein didaktischer Zeigefinger-Abend werden, so in dem Sinn: Guck mal, so kann man werden, wenn man zu viel chattet oder Killerspiele spielt. Das wird ja auch versucht in der Diskussion über die Amokläufer, dass man sagt, die haben alle Killerspiele gespielt und die zwei Millionen Leute vergisst, die auch Killerspiele spielen und nicht Amokläufer sind.

Man könnte ja sagen, dass es schlecht ist, wenn die Jugendlichen sich abspalten und der Gesellschaft verloren gehen. Aber das ist nicht Ihre Herangehensweise?

Nee, es geht eher um das Innenleben eines jungen Mannes, der sich als Gesellschaftsopfer sieht, wie immer man das bewertet. Also ich möchte das nicht bewerten, Opfer sind ja vielleicht auch Täter. Das ist mehr so eine Beschreibung einer Gesellschaftsform, die sich da herausbildet, von Leuten, die sich in einer komischen philosophischen Betrachtung der Welt verlieren.

Was für eine philosophische Betrachtung?

Es gibt ja zum Beispiel diese Abschiedsmanifeste der Amokläufer, das sind sehr krude Betrachtungen von Gesellschaft, in denen der Amoklauf als einziger Ausweg dargestellt wird.

Und in diesen Kosmos gehen Sie rein?

Das Ende des Stückes ist eher offen gelassen. Was hat man für Möglichkeiten, wenn man in so einer Isolation lebt? Das ist die Frage, die wir uns gestellt haben, und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es vier Möglichkeiten gibt: Entweder man wird zum Amokläufer oder man bringt sich um, man landet in der Klapsmühle oder man wird wieder normal.

Wie entkommen Sie dem Problem, dass man sich mit diesem Typen langweilt?

Der redet permanent mit sich selber. Wir haben rausgekriegt, dass Chatten ein permanentes Selbstgespräch ist. Man spricht ja das, was man schreibt und das, was man liest auch noch mal für sich selber mit. INTERVIEW: WIE

Die Premiere ist am Sonntag, 20 Uhr, im Hamburger Thalia Gaußstraße