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Archiv-Artikel

Vier Monate in Armut

Weil eine Sachbearbeiterin einen Fehler machte, wurde in Oldenburg einer zweifachen Mutter das Arbeitslosengeld gestrichen. Jetzt bedauert die Behörde den „Einzelfall“ – der örtlichen „Arbeitslosenselbsthilfe“ reicht das nicht

Vier Monate lang musste die Familie ohne Arbeitslosengeld klarkommen. „Wir schränken unsere Mahlzeiten ein“, schrieb Christa W. an die Oldenburger Arbeitslosengeld-II-Behörde, die Arbeitsgemeinschaft von Stadt und Arbeitsagentur (Arge). Auch, dass sie schon Möbel verkaufen musste, schrieb sie. Und den Puppenwagen und die neuen Rollschuhe ihrer Tochter. „Ich musste zweimal unterbrechen, ehe ich das zu Ende lesen konnte“, erzählt Rüdiger Böning, ehrenamtlicher Berater bei der Oldenburger Arbeitslosenselbsthilfe (Also). So sehr hätten ihn die Briefe W.s mitgenommen. Die zuständige Arge dagegen ließ sich von den Schilderungen zu keiner Reaktion bewegen – und dass W. die ihr zustehenden Leistungen doch noch erhielt, dazu brauchte es der Initiative von Rüdiger Böning.

Bis 2006 hatte Christa W. Arbeitslosengeld II bezogen. Ihre Arbeitsvermittlerin riet der alleinerziehenden Mutter von zwei Kindern, ihr Studium abzuschließen, wozu ihr nur noch eine Prüfung fehlte. Sie versprach ihr, W. würde als Studierende ein Darlehen in Höhe des Arbeitslosengeldes bekommen.

Weil eines ihrer Kinder jünger als drei Jahre ist, gilt W. als „Härtefall“. Die Leistung habe ihr trotz ihrer Einschreibung an der Hochschule zugestanden, räumt Arge-Geschäftsführer Volker Trautmann im Nachhinein ein. Doch zum 1. Januar 2007 stellte die Arge ihre Zahlungen dennoch ein – kommentarlos. So war die Familie auch nicht mehr krankenversichert. Nach dem Krankenhaus-Aufenthalt eines Kindes flatterte W. eine Rechnung von mehr als 1.000 Euro ins Haus.

Nachdem sie wieder und wieder ihre Notlage geschildert hatte, wurde Rüdiger Böning in ihrem Namen bei der Arge vorstellig. Er erreichte schließlich, dass das ausstehende Arbeitslosengeld II für die Kinder bezahlt wurde. „Den Kindern hätte die Leistung in jedem Fall zugestanden“, sagt Böning, „unabhängig vom Studentenstatus der Mutter.“ Der Arge gab er eine Woche, um auch das Geld für die Mutter auszuzahlen.

Als er wieder vorstellig wurde, waren Bescheid und Zahlkarte für den Kassenautomaten vorbereitet. Böning reichte das nicht. Er verlangte eine Erklärung des Teamleiters. Der antwortete einigermaßen lakonisch: „Ich habe 2.500 Fälle.“ Wer könne sich da schon um jeden einzelnen kümmern?

Die Arge ist überlastet, vermutet Michael Bättig, ein weiterer Aktivist der Also. 40 Prozent ihrer Mitarbeiter, weiß er, sind befristet angestellt worden – teilweise als Leiharbeiter – und erhielten kaum Einarbeitung. „Es ist zu vermuten, dass sich viele davon nicht gut auskennen“, so Bättig. Arge-Geschäftsführer Trautmann bedauert den Fehler seiner Mitarbeiterin, nennt ihn aber einen Einzelfall. Von einer Überlastung könne keine Rede sein. Die Also weiß dagegen von mindestens vier Fällen, in denen von heute auf morgen die Leistungen gestrichen wurden und eine Klärung erst nach Wochen möglich war. Sie verlangt, dass die Arge solche Versäumnisse künftig ausschließt – und auf die Rückzahlung des Darlehens an Christa W. verzichtet. Schließlich sei sie durch das Verhalten der Behörde „am Studieren gehindert“ worden.

W. ist inzwischen exmatrikuliert. Psychisch und physisch angeschlagen hat sie sich in den ALG-II-Bezug zurückgemeldet. ANNEDORE BEELTE