: Der Schriftsteller unter Personenschutz
Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk begann in Hamburg nun seine im Februar noch abgesagte Lesereise – und gab sich möglichst unpolitisch
Den vier Herren vom Personenschutz war die Situation nicht geheuer. Da standen sie auf der Bühne des Hamburger Schauspielhauses, verteilt um den Tisch, an dem der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk saß und Bücher signierte. Der offizielle Teil des ersten Abends von Pamuks Lesereise durch Deutschland war gerade vorbei, und nun warteten die Fans in einer langen Schlange vor der Bühne: deutsche Fans und türkische, langhaarige, grauhaarige, in Abendgarderobe und in Jeans. Viele von ihnen hatten gleich mehrere Bücher dabei, mitgebracht in Handtaschen oder Rucksäcken. Einer nach dem anderen trat nun auf die Bühne an Pamuks Tisch und die Herren vom Personenschutz standen daneben und gaben sich sichtlich Mühe, düster zu schauen. Zur Abschreckung, weil sowieso klar war, dass ernsthafter Personenschutz anders aussieht – und gleichzeitig niemand so recht wusste, ob Pamuk nun wirklich gefährdet ist oder nicht.
Ende Januar noch hatte Orhan Pamuk seine Lesereise durch Deutschland abgesagt, nachdem türkische Nationalisten den türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink umgebracht hatten und sich auch die Morddrohungen gegen Pamuk häuften. Ins Visier der Nationalisten war Pamuk geraten, weil er gefordert hatte, den türkischen Massenmord an den Armeniern im Jahr 1915/16 in der Türkei öffentlich aufzuarbeiten. Pamuk sollte daraufhin wegen „Beleidigung des Türkentums“ verurteilt werden, die Anklage wurde jedoch im Januar 2006 fallen gelassen. Mit dem ermordeten Hrant Dink war Pamuk befreundet gewesen.
Statt in Deutschland und Belgien zu lesen, flog Pamuk dann überraschend in die USA, unter anderem, um Vorlesungen an der Columbia-Universität in New York zu halten. Abgesagt habe er seinen Deutschlandbesuch nicht, weil er den deutschen Sicherheitsbehörden misstraue, sagte Pamuk nun dem Spiegel. „Allerdings wäre ich auf der Lesereise ständig nach den Morddrohungen gefragt worden. Damit hätten sie ein Gewicht bekommen, das sie nicht verdienen.“
Also blendete Hubert Spiegel, Literaturchef der FAZ und Moderator beim ersten Pamuk-Leseabend im voll besetzten Schauspielhaus, die Morddrohungen aus und konzentrierte sich auf Pamuks letztes Buch „Istanbul“. Darin beschreibt Pamuk Szenen seiner Kindheit und Jugend in Istanbul. Zum Vorlesen war Pamuks Verleger Michael Krüger gekommen, die Fragen stellte dann Spiegel: Warum gibt es so viele Fotos in dem Buch? Was hat es mit dem „Pamuk Apartmani“ auf sich? Fragen, die fast nur die Literatur und nie die Politik betrafen – eingedenk der Äußerung Pamuks, er wolle nicht als Repräsentant einer politischen Konstellation wahrgenommen werden, sondern schlicht als Schriftsteller.
Also keine Debatte um den EU-Beitritt der Türkei, keine Fragen zu etwaigen Veränderungen in der Türkei, immerhin aber die Frage danach, wie Pamuk sich fühle in seiner Funktion, die viele Beobachter ihm zuschrieben, nämlich: ein Brückenbauer zu sein zwischen islamischer Welt und dem Westen. Pamuk hatte diesbezüglich eine klare Botschaft: „Meine Aufgabe besteht nicht darin, den Europäern die Türken und den Türken die Europäer zu erklären, sondern gute Bücher zu schreiben.“
In Berlin erhält Pamuk heute erst einmal die Ehrendoktorwürde der Freien Universität, als „Ausnahmeerscheinung der Weltliteratur“. Weiterhin bleibt der Personenschutz angeordnet. Und wenn Fragen zum Islam kommen, werde er sie trotzdem beantworten, sagt Pamuk. „Weil ich nicht will, dass West und Ost sich streiten. Ich gehöre zu beiden.“ KLAUS IRLER
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