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Archiv-Artikel

Ein Zaun für einen Neuanfang

Kleine Wasserflaschen, große Wüste: Tilmann Köhlers Uraufführung der „Separatisten“ am Gorki Studio

Wenn Anita, die blonde Edeka-Kassiererin aus der Plattenbausiedlung, nicht mehr weiterweiß, kocht sie Mischgemüse. Mehr als Mischgemüse, zu DDR- Zeiten allgegenwärtige, meist bis zur Unkenntlichkeit verkochte Sättigungsbeilage, ist den Akteuren in Thomas Freyers Stück „Separatisten“ nicht geblieben. Ein Leipziger Allerlei ist auch die Gefühlslage von Freyers Heldin Rike angesichts des grauen Beton-Einerlei, 1980 noch ein hochmoderner Vorzeigebau, heute für die Abrissbirne freigegeben. Sie hatte die Siedlung wie so viele andere längst verlassen und findet bei ihrer Rückkehr eine Geisterstadt in der Wüste vor, deren stickige Leere ihr die Luft zum Atmen nimmt. Durch das verlassene Viertel streifend träumt sie von der Rettung ihrer Heimat durch einen Aufstand.

Die Uraufführung der „Separatisten“ hat Tilmann Köhler, Shootingstar unter den Jungregisseuren und mit seiner Weimarer Inszenierung von Ferdinand Bruckers „Krankheit der Jugend“ zum Theatertreffen 2007 eingeladen, im Studio des Gorki Theaters eingerichtet. Er arbeitete am Stück zusammen mit Thomas Freyer – beide sind Mitte 20 und aufgewachsen in Gera – im „Kloster der Wut“, einer Werkstattreihe junger Regisseure und Autoren am Gorki, die sich mit aktuellen Theaterstoffen, vorzugsweise zur Situation der Jugend in den verödenden Landstrichen des Nachwende-Niemandslandes, auseinandersetzen.

Anika Baumann gibt ihrer Rike das Gesicht einer von dem, was sie vorfindet, angewiderten, aber auch tief getroffenen Heimkehrerin. So spinnt sie sich Anita vom Edeka zusammen, der Ursula Werner, ausgestattet mit Leggings und Hausfrauenkittel, wunderbar die Aura einer patent-verschmitzten Mutter der Kompanie gibt, und Johan (Max Simonischek), den Chefstrategen der Operation Autonomiegebiet im Existenzialisten-Look. Generalstabsmäßig plant er, einen Zaun zur Abriegelung der Siedlung zu errichten, die bereits leer stehenden Geschäfte zu sprengen, die Tankstelle und die Kaufhallen zu übernehmen, Nahrungsmittel in den Parks anzubauen. Mit Hilfe von Anita und Kneipenbesitzer Günter (Ulrich Anschütz), Jeanshemd und Kunstlederweste, selbst sein bester Kunde, werden Nachtpatrouillen eingerichtet. Alex (Sebastian Kaufmane) ist der unerschrockene Aktivist im Kapuzenpulli. Er besorgt Waffen und kappt die Kabelanschlüsse: ein Held, der auch zum Verlieben taugt.

Ob und wie der Plan zur Befreiung von der erdrückenden Leere durch freiwillige Gettoisierung funktionieren kann, weiß niemand wirklich, am wenigsten Rike. In die Dialoge zur Vorbereitung des Aufstands mischen die Beteiligten Erzählpassagen von der Revolte als etwas Vergangenem und vielleicht schon Gescheitertem. Schließlich sabotiert Rike den eigenen Traum. Sie fantasiert sich in „ihr“ Stück hinein und übernimmt Patrouillen. Doch als es ernst wird und der Zaun gebaut ist, bricht der Traum ab.

So schnörkellos Freyers Sprache, so minimalistisch ist Annette Riedels Bühnenbild. Die Wände sind grau verhängt, es gibt einen Klingelblock und ein paar Briefkästen. Wasserflaschen sind die einzigen Requisiten, die unter anderem auch Waffen darstellen. Geschossen wird nicht, nur getrunken, gegen den Durst in der Wüste. Diese Askese hat Köhler seinem „Kloster der Wut“ verordnet, um den Texten „auf Augenhöhe begegnen“ zu können. Freyer hat seinerseits keine Lust, „so verdammt drüber zu stehen“. So mögen Stück und Inszenierung naiv bis ostalgierend anmuten – zumindest ist es der Versuch, den Zuschauer nicht mit irritierendem Bühnengeschehen zu erschlagen und möglichst verstört nach Hause zu schicken, auf dass er keine Fragen mehr stellen mag.

SUSANNE LEDERLE

Im Gorki Studio am 11., 18., 25. Mai. Susanne Lederle ist Gewinnerin des Wettbewerbs Theaterkritik, zu dem das Gorki Theater mit der taz Studierende eingeladen hat. Wir bedanken uns bei allen für ihre Teilnahme