: Europas Frauen im Karriereknick
EU-Gleichstellungsbericht zeigt große Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen, auch wegen mangelnder Kinderbetreuung. In Deutschland wächst die Kluft sogar. Gewerkschaften sollen sich stärker für Gleichstellung einsetzen
AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER
Frauen in Europa verdienen im Schnitt 15 Prozent weniger als Männer. Das zeigt der neueste Gleichstellungsbericht der EU-Kommission, der morgen in Brüssel vorgestellt wird. Um genauso viel zu verdienen wie ihre männlichen Kollegen im Jahr 2006, mussten Frauen deshalb statistisch betrachtet bis zum 22. Februar 2007 weiterarbeiten. Der Bericht kommt überdies zu dem deprimierenden Ergebnis, dass sich die Einkommensunterschiede von 1994 bis 2004 kaum verringert haben. In einigen Ländern, darunter Deutschland, sind sie sogar gestiegen.
Die politischen Forderungen, die die Experten daraus ableiten, hätte ihnen Familienministerin Ursula von der Leyen in die Feder diktieren können. „Nur in wenigen Ländern wird Kinderbetreuung als soziales Recht angesehen“, heißt es in dem Bericht. „Dies wirkt sich zweifellos negativ auf die Verdienstmöglichkeiten von Frauen aus.“ Mutterschutz, Elternzeit und Erziehungsurlaub müssten ausgebaut werden. Die Erwerbsunterbrechung dürfe aber nicht zu lange dauern und müsse zwischen Männern und Frauen gleichmäßig verteilt sein.
Die Statistik zeigt ein Ost-West- und ein Nord-Süd-Gefälle. In der Privatwirtschaft beträgt die Einkommenskluft in den neuen Mitgliedsstaaten „nur“ 20 Prozent. In den 15 alten, westlichen EU-Staaten macht die Differenz dagegen fast 24 Prozent aus. An der Spitze liegt Großbritannien, wo Frauen im Schnitt ein Drittel weniger verdienen als Männer. Schuld daran hat wohl der starke Ausbau des Billiglohnsektors dort, in dem hauptsächlich Frauen beschäftigt sind. Deutschland bewegt sich im oberen Drittel. Am geringsten ist der Gehaltsunterschied in Slowenien.
Bei Berufsanfängern sind die Gehaltsunterschiede kleiner als bei Älteren. Verheiratete Frauen sind eher betroffen als Singles. Frauen gehen also offenbar gleich gut ausgebildet und mit ähnlichen Chancen wie Männer an den Start. Der Karriere- und Gehaltsknick folgt später: durch Anpassung an den Lebensentwurf des männlichen Partners, durch Einschränkungen und Auszeiten in der Kinderphase.
Die Autoren räumen statistische Probleme ein, etwa weil öffentlicher Dienst, Gesundheitswesen und Bildung, wo besonders viele Frauen arbeiten, kaum berücksichtigt sind. Im öffentlichen Dienst herrschen jedoch meist bessere tarifliche Bedingungen. Deshalb schätzen die Experten die Einkommenslücke insgesamt nur auf 15 Prozent.
Seit 1999 ist das Thema Bezahlung Teil der europäischen Beschäftigungsstrategie, und geändert hat sich praktisch nichts. Die Autoren glauben, dass in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit in den Hintergrund tritt. Das zeige sich auch auf europäischer Ebene, wo sie nicht mehr als eigenständiges Ziel formuliert, sondern in allgemein gehaltenen Leitlinien versteckt sei.
Zusätzliche nationale Rechtsvorschriften seien nötig. Zum Beispiel müsse der Arbeitgeber verpflichtet werden, „Lohnunterschiede zu rechtfertigen und transparente und verständliche Vergütungssysteme anzuwenden“. Nicht ausreichend sei jedenfalls, Frauen zur Wahl besser bezahlter Berufe zu ermutigen. Denn dann würde das Problem nur an Einwanderer weitergereicht, die die Lücke in schlecht bezahlten Pflegediensten füllen müssten. Die EU-Kommission appelliert in geradezu kämpferischem Ton an die Gewerkschaften, „das Ruder zu übernehmen und sich aktiv für eine Lohnstruktur, bei der mehr auf die Gleichstellung von Männern und Frauen geachtet wird, einzusetzen“.