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Archiv-Artikel

Ein Blick hinter die Kulissen

Mit ihrer Großrazzia wollte die Bundesanwaltschaft die linke Szene verunsichern. Polizisten filzten Rechner und Adressbücher. Wie sie einen Buchladen und ein Fotoarchiv stundenlang durchsuchten

Die Tür zu dem Buchladen im Souterrain hat ein neues Schloss, ist ansonsten aber unversehrt. Die Regale stehen gerade an den Wänden, Bücher, Zeitungen und Flugblätter liegen an ihren Plätzen. Nichts deutet am Donnerstag darauf hin, dass im Buchladen Schwarze Risse im Kreuzberger Mehringhof tags zuvor eine fünfstündigen Razzia stattgefunden hat. Verglichen mit früheren Durchsuchungen hätten sich die Polizisten „verhältnismäßig korrekt benommen“, konstatiert einer der Betreiber des seit 20 Jahren existierenden Buchladenkollektivs trocken.

Schwarze Risse ist auf linke Bewegungsliteratur spezialisiert. Egal, ob es um Faschismus, Rassismus oder Imperialismus, Kampf und Widerstand geht – in dem geordneten Chaos findet sich meistens das Gesuchte. Der Mehringhof-Buchladen gehört zu insgesamt 40 Wohnungen und Projekten, die am Mittwoch auf Veranlassung der Bundesanwaltschaft (BAW) in Berlin und bundesweit durchsucht worden sind. Hintergrund ist ein Ermittlungsverfahren gegen mehr als 18 Personen wegen Bildung einer inländischen terroristischen Vereinigung nach Paragraf 129 a. Den Durchsuchungsbeschlüssen ist zu entnehmen, dass die BAW den Beschuldigten die Beteiligung an zehn Brandanschlägen im Zusammenhang mit dem G-8 -Gipfel zur Last legt. Konkrete Beweise gegen die Personen hat sie aber nicht in der Hand.

Ziel der Durchsuchung war es offenkundig, diese zu finden. Als Beschuldigte geführt werden von der BAW unter anderem der Berliner Strafverteidiger Sven Lindemann und bekannte Altautonome, die stark auf die 60 zugehen oder diese schon deutlich überschritten haben. Lindemann spricht von „willkürlich zusammengetragenen Verdachtsmomenten, die nur dem Ziel dienen, die linke Szene mit Blick auf den G-8-Gipfel auszuforschen und einzuschüchtern“.

Insbesondere interessiert sich die BAW für die Namen der Autoren, die an dem Buch „Autonome in Bewegung“ mitgeschrieben haben. In dem 2003 erschienenen Bildtextband werden 23 Jahre Geschichte der Autonomen und deren Kampagnen bilanziert (siehe rechts). Auch die Schwarzen Risse im Mehringhof führen das Buch. Es liegt gleich vorn an der Kasse neben dem „Schwarzbuch Hartz IV“ und „Planet Slum“. Der Buchladen wird von der BAW allerdings nicht als „Beschuldigter“ geführt. Von der Beschlagnahmung der Datenträger – darunter des E-Mail-Verteilers – erhofft sich die BAW aber einen Erkenntnisgewinn.

Die Kollektivmitglieder indes wirken alles andere als traurig über den Polizeibesuch. „Berlin sagt Danke für die Mobilisierung“, heißt es hier. Und: „Wir rufen alle auf, nach Heiligendamm zu fahren. Nun erst recht.“ PLUTONIA PLARRE

Ruhig und beschaulich wirkt der Innenhof an der Lausitzer Straße in Kreuzberg. Eine Praxis für Krankengymnastik gibt es hier, ein berufliches Bildungszentrum des christlichen Sozialwerkes CJD – und das linke Bildarchiv „Umbruch“. Auf engem Raum stehen in dessen Büro mehrere Computer, die Regale sind voll mit Aktenordnern. Es wirkt chaotisch, aber Mitarbeiter Hermann Bach sagt, hier sei es „halbwegs aufgeräumt“ – alles wie immer also.

Am Mittwochmorgen war das anders: Mit einem Durchsuchungsbefehl ausgerüstet, habe die Polizei um 8 Uhr das Türschloss geknackt und sei mit zehn Beamten in die Räume des Archivs eingedrungen, erzählt Bach: „Von uns war keiner da, wir öffnen erst um 10.“ Gegen 9 Uhr habe ihn ein Bekannter angerufen und von der Durchsuchung erzählt. Dann erst habe er sich auf den Weg in die Lausitzer Straße gemacht.

Die Beamten seien bis 18 Uhr geblieben. Sie hätten die Festplatten von allen vier Computern kopiert – und damit das gesamte Bildmaterial des Archivs. Zwei externe Festplatten nahmen sie mit, zudem Adressbücher und CDs, die das Layout des Buchs „Autonome in Bewegung“ enthalten. „Das ist kein Material, das für irgendjemanden bedrohlich sein könnte“, betont der 48-Jährige.

Die Durchsuchung sei freundlich und im Wesentlichen korrekt abgelaufen. Zwei Computer, deren Festplatten die Beamten kopiert hatten, seien danach aber nicht mehr einsatzbereit gewesen. Bach ärgert sich: „Man sollte erwarten, dass die Kriminaltechniker die Geräte wieder richtig zusammenbauen.“

Für das Archiv bedeute die Polizeiaktion vor allem einen verlorenen Arbeitstag. „Am Dienstag war ein Kollege vom MDR aus Leipzig da. Wir wollten einen Fernsehbeitrag schneiden, aber das ging nicht“, so Bach weiter. Insgesamt belaste ihn der Vorfall nicht besonders, er finde ihn eher absurd. „Natürlich war der Tag anstrengend. Aber die Solidaritätsdemo abends hat mich dafür entschädigt.“ Er bezeichnet die Durchsuchung jedoch als Eingriff in die Pressefreiheit.

Das „Umbruch“-Bildarchiv gibt es seit 1988. Sechs feste Mitarbeiter gehören zum Team. Nach eigenen Angaben umfasst es inzwischen etwa 20.000 Fotos „zu sozialen, kulturellen und politischen Brennpunkten“. Bach zufolge verwenden neben der taz auch andere Zeitungen und Fernsehsender regelmäßig Fotos aus dem Archiv. JENS GRÄBER

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