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Archiv-Artikel

„Wir stoßen jetzt an die Grenze“

Die deutschen Stammzellforscher sehen sich benachteiligt. Sie fordern, auch mit neuen embryonalen Stammzelllinien forschen zu dürfen

Die Klage der Stammzellforscher auf der Anhörung im Bundestag war fast einhellig: Wir brauchen neue Zellen, um mit unserer Forschung weiterzumachen. „Wir stoßen jetzt an die Grenze“, sagte Professor Anthony Ho von der Universität Heidelberg. Vor allem verhindere das deutsche Stammzellgesetz, so der Bonner Forscher Oliver Brüstle, dass Wissenschaftler ihre Ergebnisse in medizinische Anwendungen überführen können. Der Grund: Bei uns darf nach dem Stammzellgesetz nur mit importierten Stammzelllinien gearbeitet werden, die vor Januar 2002 hergestellt wurden. Und diese haben sich in den letzten Jahren für die Anwendung am Menschen als unbrauchbar herausgestellt.

Als vor fünf Jahren das Stammzellgesetz verabschiedet wurde, ging man noch davon aus, dass den deutschen Forschern ausreichend embryonale Stammzelllinien zur Verfügung stünden. „Von den ursprünglich etwa 80 Zellkulturen“, die vor dem Stichtag angelegt wurden, seien „derzeit noch etwa 22 vermehrungsfähige Linien verwendbar“, heißt es dazu in einer Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Und selbst diese sind zum Teil für die Foschung nicht nutzbar.

So stellten die Stammzellforscher fest, dass auch Stammzelllinien einem Alterungsprozess unterliegen. Mit der Zeit verändern sie nicht nur ihre Eigenschaften, auch drastische Veränderungen des Genoms, wie eine Vervielfachung einzelner Gene oder gar eine Verdoppellung ganzer Chromosomen, konnten festgestellt werden.

Vermutet wird, dass dies an mangelhaften Kulturbedingungen liegt. Die Forschung kann mit diesen Zellen wenig anfangen, denn eine Vergleichbarkeit von Forschungsergebnissen sei damit nicht mehr möglich, beklagen die Wissenschaftler. Ein weiteres Problem ist, dass ältere Stammzellen aufgrund der verwendeten Nährmedien durch Viren verunreinigt sein können. Eine Anwendung bei Menschen wäre damit viel zu gefährlich.

Noch ist eine klinische Anwendung weit weg. Um aber im internationalen Wettbewerb mithalten zu könnnen, wollen die Forscher wenigstens den Zugriff auf neuere Zellen. Geschätzt wird, dass mitterweile weltweit rund 500 embryonale Stammzelllinien etabliert wurden. Garantiert virusfreie Zelllinien gibt es aber erst seit etwa einem Jahr. Um konkrete Anwendungen in Deutschland entwickeln zu können, müsste den Forschern auch deren Nutzung eingeräumt werden. Auch wenn einige Forscher es vorziehen würden, mit ihren eigenen embryonalen Stammzelllinien zu arbeiten, die Herstellung von selbst entwickelten Zelllinen ist derzeit keine realistische Option. Denn dazu müsste auch das Embryonenschutzgesetz geändert werden. Dort ist die sogenannte verbrauchende Embryonenforschung strikt unter Strafe gestellt.

Das Embryonengesetz erlaubt auch nicht, dass jenseits der deutschen Grenze auf Veranlassung eines hier tätigen Forschers Stammzelllinien hergestellt werden. Selbst die DFG hat klargestellt, dass sie keine Änderung des Embryonenschutzgesetzes will – zumindest derzeit nicht.WOLFGANG LÖHR