: Algorithmen im Biergarten
RICHTUNGSWECHSEL Die US-Rockband Battles gibt es nur noch als Trio. Ihrem zweiten Album fehlt der frei flottierende Irrsinn der Anfangstage
Sie haben sich ihren Namen als Erneuerer des Rock hart erarbeitet. Die New Yorker Band Battles hat vielfältigste Einflüsse. In ihren Stücken werden Minimalismus, Math-Rock und Aberwitz farbenfroh verschaltet. Besonders live entfaltet die als Quartett gestartete Truppe besondere Energie. Allein für ihr Debütalbum „Mirrored“ waren sie ganze zwei Jahre auf Tour. Soeben erschien ihr zweites Album „Gloss Drop“, dessen Ankündigung für hohe Erwartungen gesorgt hatte. Und für einige Unsicherheit, was da genau auf die Hörer zukommen würde. Denn die Battles operieren nicht mehr zu viert.
Tyondai Braxton, Multiinstrumentalist, Sänger, hatte die Band mitten in der Studioarbeit verlassen. Der ausgebildete Komponist, Sohn von Avantgardejazzer Anthony Braxton, wollte nicht mehr auf Tour gehen und in Zukunft lediglich Studioalben einspielen – undenkbar für die anderen drei Musiker. Zurück blieben der Schlagzeuger John Stanier, früher bei der Grungeband Helmet, sowie die Gitarristen Ian Williams und Dave Konopka, beide in Sachen rhythmische Komplexität geschulte Math-Rocker.
Braxton war mit seinen orchestralen Samples, seiner verfremdeten Stimme und unberechenbarem Temperament zentraler Bestandteil des Battles-Sounds. Jetzt ist nichts mehr davon zu merken. Die verbliebenen Mitglieder kehrten nach anfänglichem Schock und kurzer Bedenkpause ins Studio zurück und löschten sämtliche von ihm beigesteuerten Tonspuren aus den Aufnahmen. Was ihnen anscheinend nicht allzu viel Mühe bereitete, denn Braxton hatte sich kaum noch am Bandgeschehen beteiligt, wie John Stanier einräumt.
Wer an Battles vor allem das Überschäumende und Cartooneske geschätzt hat, könnte von „Gloss Drop“ ein bisschen enttäuscht sein. Das Trio wirkt zwar immer noch hyperaktiv, rhythmisch unübersichtlich und erweckt den Eindruck, als bezögen die Musiker ihre Energie zum Spielen direkt aus Hochspannungsleitungen, allen voran der mit übermenschlichen Kraftreserven ausgestattete Stanier – allerdings haben die Arrangements dieses Mal etwas mehr Luft zum Atmen bekommen. Es wurden weniger heterogene Elemente aufeinandergetürmt als früher, und das unvorhersehbar Schizophrene des Vorgängeralbums ist einem Wahnsinn mit Methode gewichen. Der Eindruck von fröhlichem Durcheinander entsteht auch hier, doch man hört deutlicher, dass selbst in diesem Chaos Sinn und Struktur stecken.
Da die Band nicht auf Gesang verzichten wollte, es aber an der nötigen Zeit mangelte, um in Ruhe abzuwarten, bis passender Ersatz für Braxton vom Himmel fiele, griffen Battles auf mehrere Gastsänger zurück. Matias Aguayo etwa, Elektronikproduzent und Stimmenexperimentator aus dem Kosmos des Kölner Technolabels Kompakt, ist ebenso vertreten wie Kazu Makino von der New Yorker Band Blonde Redhead. Für psychedelische Eruptionen sorgt Yamantaka Eye von der japanischen Noiserockinstitution Boredoms, der mit einem bewusstseinserweiterten Mönchsgesang das Album würdevoll abschließt.
Der größte Coup gelang den Battles in der Zusammenarbeit mit New-Wave-Ikone Gary Numan, dessen metallisch verfremdeter Gesang perfekt mit Staniers voranpreschender Trommelvirtuosität und den aggressiv umeinanderschlängelnden Gitarrenlinien samt elektronischen Zugaben harmoniert. So demonstrieren die Battles, dass sie ihre trackartigen Rockmantras ohne Reibungsverlust in Songstrukturen unterbringen können. „My Machines“, an dessen Zustandekommen die Band im Vorfeld gar nicht glauben mochte, weil Stanier und Kollegen nie mit Numans Zusage gerechnet hätten, deutet einen behutsamen Richtungswechsel der Band an und ist zugleich einer der Höhepunkte von „Gloss Drop“. Alles in allem hat die Band den Verlust ihres Sängers und Komponisten bemerkenswert gut verkraftet. Lediglich für ihr Livekonzept musste sie ein paar Änderungen vornehmen. Die Gastsänger treten per Videoprojektion auf – mit kleinen Ausnahmen: Beim ersten Deutschlandkonzert in Berlin Anfang April kam Matias Aguayo als Überraschungsgast auf die Bühne.
Die Battles haben für ihr zweites Album von dem Recht Gebrauch gemacht, sich nicht ständig wiederholen zu müssen. Erkennbar sind sie immer noch, besonders Staniers präzise Algorithmen geben verlässlich die Richtung an. Ruhemomente sind selten. Allein „Sundome“, das Finale, beginnt mit einigen Minuten bedächtigen Fließens. Mit Meditationsmusik darf man das trotzdem nicht verwechseln, wie Stanier klarstellt: „Das ist unser germanischer Einfluss. Dieser langsame Teil ist der Klang eines Biergartens im Sommer.“
TIM CASPAR BOEHME
■ Battles: „Gloss Drop“ (Warp/Rough Trade). Live am 10.6. in Dortmund, am 11.6. in München und am 12.6. in Hamburg