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Archiv-Artikel

Im Sinne Erdogans

PRESSEFREIHEIT Drei Reporter aus Deutschland waren in der Türkei eineinhalb Tage in Haft. Sie hatten über kurdische Proteste berichtet

„Dass Präsident Erdogan Medien für die Unruhen verantwortlich gemacht hat, ist eine unverantwortliche Unterstellung und trägt dazu bei, die Feindseligkeiten gegen Journalisten anzustacheln“

CHRISTIAN MIHR, REPORTER OHNE GRENZEN

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

„Nach 31 Std konnten @RubenNeugebauer, @visrebel und ich die Polizeiwache verlassen“, twitterte Björn Kietzmann am Montagmorgen. @visrebel ist der Twitteraccount seines Kollegen Chris Grodotzki. Neugebauer, Grodotzki und Kietzmann sind deutsche Fotojournalisten. Sie waren am Samstag in der Türkei von der Polizei festgenommen worden, als sie in der kurdischen Metropole Diyarbakir im Südosten des Landes über die Proteste der Kurden gegen den Angriff der Terroristen des „Islamischen Staats“ (IS) auf Kobani berichten wollten. Kietzmann arbeitet regelmäßig für die taz. Angeblich seien er und seine beiden Kollegen „Provokateure und Spione“.

Beide Vorwürfe hat offenbar aber selbst der Haftrichter, dem sie Montagfrüh vorgeführt wurden, nicht ganz ernst genommen und die drei erst einmal wieder auf freien Fuß gesetzt. In türkischen Medien hieß es, die Fotografen hätten kurdische Jugendliche dazu angestiftet, Autoreifen anzuzünden, um dann zu fotografieren. Nach ihrer Verhaftung war das Fotomaterial der drei Deutschen beschlagnahmt worden.

Im Laufe des gestrigen Montags sollten alle drei noch von der Staatsanwaltschaft vernommen werden, die dann über eine mögliche Anklageerhebung entscheiden wollte. Ein US-Kollege, der sich zurzeit ebenfalls in Diyarbakir aufhält und nach der Freilassung von Kietzmann, Grodatzky und Neugebauer kurz Kontakt zu ihnen hatte, sagte, dass es ihnen gut gehe.

Wahrscheinlich müssen die drei Fotoreporter auch nicht mehr mit einer unmittelbaren Abschiebung rechnen, weil man sie dann erst gar nicht freigelassen hätte.

Die Empörung über das Vorgehen der türkischen Polizei kann das nicht schmälern: „Journalisten dürfen nicht kriminalisiert werden, bloß weil sie über Demonstrationen oder Unruhen berichten“, sagte der Geschäftsführer der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen (ROG), Christian Mihr. ROG forderte, „die Vorwürfe gegen die Journalisten fallen zu lassen und ihnen umgehend eine ungehinderte Fortsetzung ihrer Arbeit zu ermöglichen“.

Die drei vorübergehend inhaftierten Journalisten gehören zu einer Gruppe junger, engagierter Fotoreporter, die viel während Demonstrationen in Deutschland gearbeitet haben und seit zwei Jahren häufiger im Nahen Osten unterwegs sind. Unter anderem haben sie Hilfstransporte nach Syrien begleitet und die Situation in den Flüchtlingslagern dokumentiert. Bevor sie in der letzten Woche nach Diyarbakir reisten, waren sie in Suruc, der Stadt, die auf türkischer Seite der Grenze zu Syrien dem umkämpften Kobani direkt gegenüberliegt.

Diyarbakir und andere überwiegend kurdisch bewohnte Städte im Südosten der Türkei waren in der letzten Woche Schauplätze heftiger Auseinandersetzungen, weil Kurden, die dagegen protestierten, dass die türkische Regierung die in Kobani kämpfenden syrischen Kurden nicht unterstützt, von Polizei und Armee angegriffen wurden. Außerdem kam es zu Schusswechseln zwischen PKK-nahen Kurden und kurdischen Islamisten, die mit den IS-Milizen sympathisieren. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte anschließend erklärt, die Unruhen, bei denen insgesamt 38 Menschen gestorben waren, seien von ausländischen Mediengruppen geschürt worden. Auch das kritisiert ROG-Deutschland-Chef Mihr: „Dass Erdogan Medien für die Unruhen verantwortlich gemacht hat, ist eine unverantwortliche Unterstellung und trägt dazu bei, die Feindseligkeiten gegen Journalisten in der Unruheregion anzustacheln.“

Ausländer werden deshalb im Moment in Diyarbakir und anderen Städten entlang der Grenze von der Polizei besonders misstrauisch betrachtet. Seit den Auseinandersetzungen werden die kurdischen Städte von Polizei und Gendarmerieeinheiten scharf kontrolliert, im türkischen Parlament wird voraussichtlich am heutigen Dienstag ein Gesetz eingebracht, das der Polizei mehr Befugnisse gegenüber Demonstranten einräumen soll. Erdogan hat angekündigt, man werde mit „den Gangstern, die die Städte anzünden“, hart abrechnen.

Nach Auskunft von Beobachtern vor Ort herrscht in Diyarbakir im Moment eine gespannte Ruhe. Man rechnet aber damit, dass es erneut zu heftigen Auseinandersetzungen kommen dürfte, wenn Kobani fallen sollte.

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