: Sandkörner im Getriebe des Gipfels
Blockadetraining vor dem Treffen der Regierungschefs der größten Wirtschaftsnationen in Heiligendamm: Block G 8 zeigt die Kniffe, mit denen die Protestler zu den Zufahrtsstraßen des Ostseebads gelangen wollen. Die Globalisierungskritiker sind gut vorbereitet: „Das wird keine Latschdemo“
VON KAI SCHÖNEBERG
„Mittelfeld“ will mit der Polizei verhandeln, „Blumenkohl“ die Ausweise nicht vorzeigen und bei „Pizza“ setzt einer auf Konfrontation. Ist das etwa ein Agent Provocateur? Kurz vorher hatte die Polizei die Demonstranten eingekesselt, um sie dann per Megafon aufzufordern, sich definitiv hier zu verdünnisieren – „aber nur nach vorheriger Personalienfeststellung“.
Ein Planspiel für den G 8-Gipfel, das Treffen der Regierungschefs der größten Wirtschaftsnationen in Heiligendamm Anfang Juni: Die Stühle rund um die Demonstranten sind die Polizisten. Andreas Traube rät den in „Bezugsgruppen“ zusammengeschlossenen Demonstranten dazu, erst mal ein Plenum im Kessel einzuberufen. „Auch die Polizei hat ein Interesse an einer Antwort“, sagt der Aktionstrainer bei der Blockade-Übung, zu der die Globalisierungsgegner von „Block G 8“ gestern in Hannover eingeladen haben.
Lange nichts gehört von Attac & Co. Als sich Attac vor ein paar Jahren nach französischem Vorbild im niedersächsischen Verden gründete, schien das der Beginn einer neuen Revolte zu sein. Die Alt-68er starben langsam, Punk was dead. Für viele, denen sich die Grünen in den Jahren des Mitregierens verbraucht hatten, schienen die Globalisierungsgegner und ihre Nachgründungen ein geeignetes Forum des Protests. Gegen die große Politik, für die Tobin-Steuer, für nachhaltiges Handeln. Attac sammelte Mitglieder in Scharen, zog nach Frankfurt am Main um – und verschwand in der Versenkung. Wer in den vergangenen Jahren fragte, was die Attacis eigentlich machen, hörte nur eins: Wir bereiten uns auf den G 8-Gipfel in Heiligendamm vor.
Das Treffen der acht größten Wirtschaftsnationen im Ostseeheilbad in gut drei Wochen ist also so etwas wie das vielleicht letzte Gefecht der einst mit großen Hoffnungen gestarteten Bewegung. Aber: Es ist gut vorbereitet.
„Das wird keine Latschdemo“, sagt Lea Voigt von „Block G 8“. Das Bündnis, das mehr als 100 Gruppen aus Kirchen, Antifa, Gewerkschaften oder Linken von der DKP Niederlausitz bis zum Heidelberger Friedensratschlag unterstützen, koordiniert die Blockaden. Die Mobilisierung laufe „sehr gut“, sagt Christoph Kleine. „Wir wollen Sand im Getriebe dieses Gipfels sein“, verspricht Kleine. Es werde „einiges auf den Straßen rund um Heiligendamm los sein.“
Protestieren will gelernt sein. Deshalb veranstaltet „Block G 8“ zurzeit in ganz Deutschland Blockadetrainings. „Wie fühlt es sich an, weggetragen zu werden?“, steht auf einer Tafel. Aktionstrainer Traube empfiehlt die Bildung von Kleingruppen, deren Namen sich gut brüllen lassen – falls mal einer verloren geht. Alle strittigen Fragen müssten von allen Mitgliedern abgesegnet werden: „Es bringt nichts“, sagt Traube, „etwas mit 51 Prozent Mehrheit zu beschließen, wenn der Rest sagt: Da geh’ ich nicht mit.“
Niels, Mitte 20, blauer Pullover, lange braune Haare, macht bei Attac in Hannover mit. Er hat schon einige Demos auf dem Buckel und rät von Notizbüchern und Handys ab: „Die haben die Möglichkeit, das ganze Netz abzuschalten.“ Heidi, eine blonde Mittfünfzigerin mit T-Shirt und Jeans, will auch Blockieren, hat aber Angst vor Gewalt: „Ich möchte nicht mit einem blauen Auge nach Hause kommen.“
Es geht ihnen um „kalkulierte Regelverstöße“ des zivilen Protests. Wenn die Regierungschefs Bush, Blair, Merkel und Sarkozy in Heiligendamm einrücken, werden sie von einem kilometerlangen Zaun und 17.000 Polizisten abgeschirmt werden. Schon Kilometer vor dem eigentlichen Geschehen können Gipfel-Gegner abfangen werden. Wahrscheinlich steckt die Polizei einige bereits zu Hause in „Unterbindungsgewahrsam“ – allein weil der Verdacht besteht, sie könnten protestieren. Bereits in der vergangenen Woche sorgten Durchsuchungen bei Globalisierungsgegnern bundesweit für Proteste.
Dass auch die Gegenseite gewappnet ist, macht Kleine nichts aus. „Jeder Polizist“, sagt er, „kann nur einen schlagen oder mit Pfefferspray besprühen.“ Das binde Kräfte. Da er bis zu 20.000 Blockierer erwartet, werde es immer eine Lücke geben, um zu einer der vier Zufahrtsstraßen zum Gipfelhotel vorzustoßen und sich dort auf die Straße zu setzen, „dauernd und lang anhaltend“, wie Kleine betont. „Wir richten uns auf 24 Stunden und länger ein.“ Selbstverständlich solle alles gewaltfrei ablaufen: „Wir wollen keine Exkalation.“
Bei den Massenblockaden gehe es nicht um Symbolik, sagt Voigt. Die Blockierer wollen zumindest die Zufahrt für Diplomaten, Dolmetscher oder Caterer erschweren. Sie wollten keine Protest-Statisten sein, betont Voigt. „Uns geht es um die Störung des Ablaufs dieses Gipfels.“