Schöne Männerbäuche

Lob der Reife: Jürgen Goschs „Sommernachtstraum“ im Deutschen Theater Berlin ist nicht nur dionysisch wild, sondern auch verspielt und lustig

Das hätte ich selbst lange nicht vermutet, dass mich mal nackte Männer auf der Bühne so erfreuen. Sie sind nicht schön, sie sind nicht jung, das lange Haar ein wenig strähnig, die Bäuche rund und in der Bewegung ungelenk. Und doch möchte man sie am Ende knuddeln, den Zettel von Markus John oder Puck, den launigen Waldgeist, von Ernst Stötzner, in dem „Sommernachtstraum“, den Jürgen Gosch am Deutschen Theater in Berlin inszeniert hat. Denn selten ist Reife so sexy. Und selten die Lust auf der Bühne so unbeeindruckt von Fitness-Normen und Schönheitswahn.

Gott, was ist die Jugend blöd in diesem Stück. Eifrig spielt sie mit dem gleichen Enthusiasmus Theater, mit dem sie liebt; die Mädchen strahlend und mit offenem Herzen, jede der schnell wechselnden Regungen ablesbar, noch bevor sie ausgesprochen ist. Hermia und Helena, Lysander und Demetrius, sie bilden schon bei Shakespeare ein unentwegt asynchrones Quartett, in dem stets zwei hinter einer herjagen. In der Lesart von Gosch macht es dabei weniger denn je aus, ob sie dabei nun ihren ursprünglichen Gefühlen oder den durch Pucks Zaubertränke verschobenen Beutetrieben folgen. Wahre Liebe lässt sich von roher Lust kaum unterscheiden – das war schon immer der dunkle Kern der Komödie.

Doch während man sonst den verirrten Kindern mit mehr Empathie folgt, beobachtet Gosch, selbst nicht mehr jung, ihr Fliehen, Verfolgen und Unglücklich sein eher aus leicht genervter Distanz. Das muss über die Bühne, Jugend gehört zum Leben, aber bitte dalli, wir haben noch anders vor. Schon gespannter folgt man dem Stolpern und Straucheln der älteren Paare, Fürsten der Stadt Athen und Könige im Elfenreich, beide von Bernd Stempel und Corinna Harfouch gespielt. Puck und den Handwerkern aber gilt schließlich die volle Liebe des Regisseurs. In ihren Verwandlungen zeigen sich sein ganzer Erfindungsreichtum und seine Lust am Theater. Die sechs Schauspieler, die als die Handwerker auf die Bühne kommen, um wie stets als Spiel im Spiel die Tragödie von Pyramus und Thisbe aufführen, mimen auch das Gefolge der Elfen und den Wald.

Das sind nicht allein archaisch wüste Bilder von den Nachtseiten der Liebe, wenn diese kräftige Männerschar als Titanias Gefolge über den in einen Esel verwandelten Zettel herfällt, um ihn auszusaugen und leer zu lutschen, mit Hilfe von vielen Trauben, die sie knapp neben seinem Fleisch zermanschen und zerbeißen – das sind auch sehr komische Bilder, sozusagen dionysisch und bukolisch in einem. Nicht nur, weil sie alle Konturen von Männlichkeit und Weiblichkeit zuerst auf die Spitze treiben und dann hurtig verwischen; sondern auch, weil sie das Übermanntwerden, das Fallen aus allen Rollen und Posen so perfekt spielen. Corinna Harfouch als Titania, tief gefangen in Traum, Rausch und Gier, scheint dabei eher der Leithammel als die Königin ihrer tierischen, kauzigen Meute.

Vor zwei Wochen hat der sehr produktive Regisseur am Schauspiel Hannover „Wie es euch gefällt“ herausgebracht, mit tiefen, dunklen Schatten über den Bildern der Liebe und der Natur. Er gilt als ein Skeptiker und Zweifler, dem seit seinem „Macbeth“ aus Düsseldorf letztes Jahr plötzlich eine bedrohliche Rolle als unordentlicher Erzähler mit abstoßenden Bildern angehängt wurde. Zu viel Blut sei auf der Bühne, zu viel Körper, zu viel nackte Haut. Viel nackter Mann, das kehrt diesmal wieder und ist doch deutlich eine Liebeserklärung an das ungeschönte Sein und Begehren vor dem Lernen aller Formen. Wenn Gosch die Handwerker mit den theatralischen Mitteln des Grauens spielen lässt, unendlich albern und zugleich zärtlich mit der Sehnsucht nach Ausdruck umgehend, dann könnte man fast glauben, er mache sich auch über seine Kritiker von damals lustig.

KATRIN BETTINA MÜLLER