: Obergeschoss sticht Untergeschoss
INSZENIERUNG Zwei im Kern langweilige, parallel laufende Ausstellungen gewinnen mal durch ihre räumliche Präsentation, mal verlieren sie. Zu erleben ist das in der Kestnergesellschaft Hannover
In der Kestnergesellschaft in Hannover gibt es zwei Stockwerke mit Ausstellungsflächen. Die Räume im Erdgeschoss sind vor allem funktional und lassen sich durch Stellwände verändern. Die im Obergeschoss sind weitläufig, haben sehr hohe Decken und viel Licht von oben.
Wie wichtig die räumlichen Gegebenheiten sind für die Wirkung von zeitgenössischer Kunst, das lässt sich derzeit anhand zweier parallel laufender Ausstellungen nachvollziehen: Oben hängt Malerei von dem Stuttgarter André Butzer, unten werden Fotos des belgischen Künstlerduos Jos de Gruyter und Harald Thys gezeigt. Beide Ausstellungen sind im Kern langweilig. Der Langeweile von Butzers Malerei allerdings wirken die Gegebenheiten im Obergeschoss entgegen, während die Langeweile von de Gruyter/Thys’ Fotografien durch die Gegebenheiten im Erdgeschoss noch verstärkt wird.
André Butzers Malerei ist abstrakt und großformatig angelegt: Die Bilder haben Maße wie 4,5 Meter mal 2,9 Meter. Gemalt hat Butzer entweder sehr wilde, bunte, farbintensive Bilder oder rechtwinklige Formen auf grauen Flächen. Beide Varianten leben von ihrer physischen Präsenz. Und beide Varianten profitieren extrem von der Weitläufigkeit, dem Licht, den hohen Decken und dem Parkettboden – alldem, das das Obergeschoss der Kestnergesellschaft bietet.
Unten dagegen hängen die Fotos von de Gruyter/Thys auf quer in den Raum gestellten Wänden. 168 Fotos, eines neben dem anderen, und alle sind in ihrer Machart gleich: Sie zeigen Objekte, die auf einem dunkelgrauen Boden vor einer hellgrauen Wand stehen und aus Normalsicht von einer Kamera aufgenommen wurden. Bei den fotografierten Objekten handelt es sich um Alltagsgegenstände wie Autoreifen, Perücken, Lampen, Eimer, Bilderrahmen, Fahrradsattel oder einfach ein Stück Styropor. Die Objekte sind billig und sehen gebraucht aus. Es wirkt, als hätten die Künstler ein paar Dachböden oder Keller ausgeräumt.
Meist sind zwei Objekte auf einem Bild arrangiert, so dass ihre ursprüngliche Funktion in den Hintergrund tritt und eine abstrakte Skulptur entsteht, etwas Neues also, noch Undefiniertes. Fotografiert haben die beiden Künstler ihre Skulpturen mit einem Verfahren, das besonderes scharfe Bilder ermöglicht – was das gewählte Genre, eine möglichst neutrale Objektfotografie, aber auch nicht wesentlich erweitert.
Diese unterkühlte Wiederbelebung von Alltagsschrott steht nun also in einem Raum, der an eine Stadtbibliothek erinnert. Ein anderer Ort hätte den Skulpturen Atmosphäre verliehen, vielleicht sogar subversive Kraft. So aber wird ihre erste Einzelausstellung in Deutschland für die beiden Belgier gleich zum Eigentor. KLAUS IRLER
bis 14. August, Kestnergesellschaft Hannover