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Archiv-Artikel

KAUM ETWAS IST NÜCHTERNER ALS EIN GURKENSANDWICH – EGAL WIE VIEL MAN DAZU TRINKT Führerschein mit Anfang vierzig

MARTIN REICHERT

Waren Sie schon mal auf einer MPU-Party? Sie wissen gar nicht, was das ist? Ich wusste es auch nicht, bis ich neulich bei einem Freund in der Küche stand, um Gurkensandwiches für die zu erwartenden Gäste zu schmieren.

MPU, das steht für Medizinisch-Psychologische Untersuchung, im Volksmund auch als „Idiotentest“ bezeichnet. Menschen mit Diplom begutachten Menschen, die ihren Führerschein aufgrund von Drogen oder Alkohol oder verkehrswidrigem Verhalten verloren haben. Kommen alle drei Vergehen in einem Fall zusammen, ist es nicht leicht, den Führerschein wiederzubekommen. Es kann Jahre dauern und man muss unglaublich viel Geld an die Menschen mit den Diplomen zahlen.

Es ist eine Zwangspsychiatrisierung auf freiwilliger Basis. Man steht beruflich unter dem Zwang, seinen Führerschein zurückhaben zu müssen, und macht dann freiwillig alles mit, weil einem nichts anderes übrig bleibt.

Aber warum ausgerechnet Gurkensandwiches? Mit Anfang vierzig hatte er nun endlich seinen Führerschein zurück – und was ist nüchterner als ein Gurkensandwich? Ein Gurkensandwich würde jeden MPU-Gutachter besänftigen. Brot, Butter, Gurke.

Wenn da nur nicht all die Getränke gewesen wären, die im Folgenden bei der MPU-Party konsumiert wurden. Sekt, Weißwein, Wodka, Gin Tonic. Mitten in der Woche. Willkommen in der Suchtgemeinschaft. Nüchtern waren am Ende eben nur die Sandwiches, die ausschließlich gegessen wurden, um die Magenwände zu beruhigen.

Am nächsten Tag erinnerte ich mich dann wieder an unser Gespräch während des Sandwichschmierens. Als wir noch allein waren und nüchtern und uns gefragt hatten, wann wir uns eigentlich das letzte Mal nüchtern begegnet sind.

Wir erinnerten uns an lustige Verkehrsdelikte früherer Tage. Mit neun Leuten im Polo und als die Polizei ans Fenster klopfte, hatte er tatsächlich geantwortet: „Moment, ich telefoniere gerade.“ Oder zu dritt im Zweisitzercabrio – und er im Kofferraum. Gurkensandwiches hatte es auch früher schon mal gegeben, damals, als ich komplett pleite war und meinen Geburtstag ausfallen lassen wollte. Und er stattdessen eine Low-Budget-Feier organisiert hatte. Lange ist das schon her, viele Flaschen wurden damals geleert. Und seitdem.

Die Fünftagevorschau | Kolumne@taz.de

Donnerstag Ambros Waibel Blicke

Freitag Michael Brake Kreaturen

Montag Maik Söhler Darum

Dienstag Jacinta Nandi Die gute Ausländerin

Mittwoch Margarete Stokowski Luft und Liebe

Lustig, diese MPU-Party. Ein feiner Spaß, den Leuten mit den Diplomen und den Verboten ein Schnippchen zu schlagen, „entschuldigen Sie, ich telefoniere gerade“. Wenn da nur nicht noch diese andere Geschichte gewesen wäre, die er erzählt hatte. Bei den zahllosen MPU-Sitzungen wurde immer darüber gesprochen, dass übermäßiger Alkoholkonsum auf persönliche oder berufliche Probleme verweise. Und dass man, wenn man seinen Alkoholkonsum in den Griff bekommen will, womöglich seinen Freundeskreis verändern oder gar austauschen muss.

Darüber hatten wir uns unterhalten, als wir nüchtern Gurken hobelten. Ein Wunder, dass ich mich nach dieser Nacht überhaupt noch daran erinnern kann.