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Archiv-Artikel

Jeden Tag droht in Kiew ein neuer „Maidan“

UKRAINE Mal demonstrieren Nationalgardisten, mal Oberschüler, und jedes Mal gibt die Regierung nach. Scheinbar zumindest. Die Angst der Regierung vor einer neuen Protestbewegung ist offenbar groß

VON ANDREJ NESTERKO UND BERNHARD CLASEN

KIEW/BERLIN taz | Es ist eine gute Zeit, um in der ukrainischen Hauptstadt auf die Straße zu gehen. Einige tausend Schüler und Studierende protestierten am Mittwoch vor dem Bildungsministerium in Kiew gegen eine geplante Verschärfung der Aufnahmebedingungen für Hochschulen. Schon nach wenigen Stunden kam die stellvertretende Bildungsministerin Irina Sowsun und sicherte der aufgebrachten Schülerschar zu, dass der geplante Gesetzentwurf nicht weiterverfolgt werde. Wenige Minuten nach ihrem Auftritt löste sich die Veranstaltung auf.

Bisher dürfen Absolventen von Oberschulen nach einer bestandenen Aufnahmeprüfung direkt im dritten Semester in die Universität einsteigen. Dieses Privileg sollte nun abgeschafft werden – für Kiews Oberschüler ein Affront. Im Ministerium war man auf Protest nicht vorbereitet – und gab nach. Beobachter in Kiew befürchteten nämlich einen Schüler-Maidan mit brennenden Autoreifen.

Nicht ganz so folgenlos für die Demonstranten dürfte hingegen der Protest von über 300 Angehörigen der ukrainischen Nationalgarde am Montag und Dienstag bleiben. Die Gardisten hatten sich vor dem Sitz der Präsidialadministration versammelt und ihre sofortige Entlassung vom Militärdienst gefordert. Vor ihrem Aufbruch nach Kiew hatten die aufgebrachten Nationalgardisten ihre Vorgesetzten unter Hausarrest gesetzt.

Doch auf Rückhalt von Soldaten anderer Einheiten konnten die frustrierten Nationalgardisten nicht hoffen. Sie wurden beschimpft, man sagte ihnen sogar nach, vom russischen FSB angestachelt worden zu sein. Zunächst sicherte ein Sprecher der Präsidialadministration den protestierenden Soldaten Straffreiheit und Prüfung ihrer Forderungen zu. Als sie daraufhin nach Hause gingen, wurde bekannt, dass die Militärstaatsanwaltschaft gegen sie ein Strafverfahren eingeleitet hat.