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Archiv-Artikel

„Es wird mit Menschen gespielt“

DER PROTESTANT

Nikolaus Schneider wurde am 3. September 1947 als Sohn eines Stahlarbeiters in Duisburg geboren. Pfarrer war er in Rheinhausen und Moers. Zwischen 1987 und 1997 kämpfte er als Superintendent im Kirchenkreis Moers für Gottes Wort und gegen die Schließung des Stahlwerks Rheinhausen. Am 9. Januar 2003 wurde Schneider Nachfolger von Manfred Kock als Präses der rheinischen Landeskirche. Mit knapp drei Millionen Mitgliedern „zwischen Emmerich und dem Saarland“ (Eigenwerbung) ist sie die zweitgrößte Deutschlands. Schneider ist seit 1970 verheiratet und Vater dreier Töchter. Seine jüngste Tochter Meike starb 2005 an Leukämie. Mit seiner Frau Anne gab er ein Buch heraus, in dem er den Kampf gegen die Krankheit beschreibt. HOP

INTERVIEW: HOLGER PAULER UND CHRISTOPH SCHURIAN

taz: Herr Schneider, was ist besser: zum Kirchentag gehen oder zum G8-Gipfel?

Nikolaus Schneider: Beides hat seine Berechtigung. Ich möchte da nicht von besser oder schlechter reden. Die Appelle an die Politik müssen die gleichen sein. Vieles kann nicht so weiter gehen. Im Umgang mit unserem Planeten und im Umgang mit den Menschen. Heiligendamm ist der Ort des friedlichen Protestes. Gewalt lehne ich ab. Aber vor Ort präsent zu sein, ist wichtig – allerdings ist dies keine Alternative zum Kirchentag.

Warum?

Dort ist die Verknüpfung von Spiritualität und Glauben mit der gesellschaftlichen Verantwortung zu erleben. Wir Christen haben einen langen Atem. Wir werden uns vom Roncalliplatz mit einer klaren Botschaft Richtung Heiligendamm wenden.

Wie lautet die?

Sie wird noch formuliert werden. Aber es wird Schals geben mit der Aufschrift: „Was nützt es dem Menschen...“ – weiter heißt es im Lukas-Evangelium: „wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber Schaden nimmt an seiner Seele?“ Es geht darum die Würde des Menschen zu schützen und die Schöpfung zu bewahren.

Das Motto „lebendig und kräftig und schärfer“ passt auch gut auf den G8-Gipfel.

Auf die Teilnehmer oder auf die Kritiker? In den Regierungen sind ja auch Christen vertreten. Es gibt dort leider oft Interpretationen des Glaubens, die ich nicht akzeptieren kann. Wenn Krieg begründet wird, wenn es eine apokalyptische Interpretation der Weltsituation gibt, die lautet: Hier sind die Guten, dort die Bösen; und wir schlagen jetzt zurück. Da setzt sich jemand auf den Thron Gottes, der da nicht hingehört. Es gibt jedoch auch überzeugte Christenmenschen unter den Politikern, die mit der Komplexität der Situation zurecht kommen. Davor habe ich Respekt.

George W. Bush meinen Sie damit nicht?

Nein, ihn meine ich nicht.

Wird der Kirchentag ähnlich groß wie 2005 der Weltjugendtag der Katholiken in Köln?

100.000 Menschen beim Abschlussgottesdienst sprechen dafür. Wir haben sehr viele Bühnen. Wir hoffen, dass das Event nachhaltig in die Gemeinden wirkt.

Aber in Köln sind Protestanten in der Minderheit!

Das Besondere wird sein, dass es eine Alltagsökumene gibt. Es ist eine wunderbare Erfahrung mit welcher Selbstverständlichkeit die katholischen Gemeinden ihre Häuser öffnen. Sogar Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat als Katholik ein Privatquartier angeboten.

Sie arbeiten mit Ihrer Landeskirche in der Diaspora?

In Moers und Umgebung, wo ich tätig war, gibt es eine protestantische Mehrheit. Ansonsten ist die rheinische Landeskirche wirklich eine Minderheitenkirche.

Wird man dadurch frommer?

Man wird lebendig und kräftig.

Welche Rolle spielt der Dialog mit muslimischen Gemeinden?

Das ist eines der großen Zukunftsthemen unserer Gesellschaft. Auch hier hat der Kirchentag eine ganz wesentliche Funktion. Wir können in unserem Land nicht mit anderen zusammen leben, wie in den USA. Chinatown ist keine Lösung für uns. Wir brauchen ein Miteinander im Alltag. Wir müssen außerdem die friedenstiftenden Potenziale von Religion aktivieren und nicht die Destruktivität – das gibt es in den Religionen leider auch. Es gibt auf dem Kirchentag einen Trialog zwischen Christen, Muslimen und Juden. Geistliche werden darüber reden, wie es zu einer friedlichen Lösung zwischen Israel und Palästina kommen kann. Alle politischen Auseinandersetzungen dort haben eine religiöse Dimension.

Der Islam ist aber anders organisiert als das Christentum.

Es gibt noch ein viel größeres Problem als die Organisation, das Schriftverständnis. Für die Muslime ist der Koran von Gott diktiert: Er muss auf Arabisch gelernt werden und sein Wort ist unveränderbar. Unser Verständnis ist, dass die Bibel Gottes Wort in Menschenhand ist. Gott hat die Bibel nicht geschrieben, das waren inspirierte Menschen. Wir können deshalb historisch kritisch mit der Bibel umgehen, das kann der Islam nicht.

Mit wem reden Sie auf dem Kirchentag?

„Die Leute laufen uns ja nicht in Scharen weg. Aber wenn es ihnen schlecht geht, geht es auch der Kirche schlecht“

In Istanbul wird relativ kritisch zum Koran geforscht. In Marseille und in Österreich gibt es kritische Koranstudien. Diese Forscher werden auch auf dem Kirchentag anwesend sein.

Wird für Moscheen gesammelt, wie es eine Kölner Gemeinde getan hat?

Beim Eröffnungsgottesdienst geht die Kollekte an eine große Behinderteneinrichtung in Russland, beim Feierabendmahl sammeln wir für Amaro Kher, ein Kulturzentrum, das Sinti-Kinder in Köln resozialisiert. Das Projekt wird vom Verein Rom e.V unterstützt. Die Abschlusskollekte geht an die Kindernothilfe, die versklavten Kindern in Haiti hilft. Für die Moschee sammeln wir nicht.

Können Sie respektieren, dass eine Kirche in eine Moschee umgewandelt wird?

Schon rein rechtlich ist das gar nicht möglich. Und wir müssen auch berücksichtigen, dass Gemeindemitglieder, die in diesen Gebäuden groß geworden sind, eine besondere Beziehung zu den Steinen haben. Diese Steine sprechen. Die Sprache dieser Steine kann nicht einfach in eine andere Sprache umgewandelt werden.

Was soll mit den Gebäuden geschehen, die leer stehen?

Wir wünschen, dass das, was diese Steine sprechen, verstanden wird. Es ist eine Heimat für Menschen. Es gibt Richtlinien, die vorschreiben, dass der Verwendungszweck sich nicht zu weit vom Ursprung entfernt.

Das heißt: lieber Abriss als Moschee?

Ja.

In Bielefeld haben Gemeindemitglieder eine Kirche besetzt, um deren Abriss zu verhindern.

Sie wollen sich ihre geistliche Heimat nicht nehmen lassen. Ich habe durchaus Verständnis für deren Anliegen, das Mittel erscheint mir aber zweifelhaft.

Kirchenschließungen oder der Abbau von Kindergartenplätzen sind unumgänglich. Wie gehen Sie damit um?

Das wird nicht von oben verordnet. Die Kirchenkreise und Gemeinden müssen das selbst entscheiden. Die Botschaft, dass wir Gemeinden zusammenlegen und Kirchen schließen müssen, ist bei den Menschen angekommen. Bei Kindergärten ist es kritischer. Wir müssen der Elternschaft erklären, warum wir die Plätze abbauen und wer sie übernimmt. Die Kinder sind uns doch nicht egal.

Woran krankt die Kirche?

Die Leute laufen uns ja nicht in Scharen weg. Aber wenn es den Leuten schlecht geht, geht es der Kirche schlecht. Die Basisfinanzierung ist die Kirchensteuer. Wenn 20 Jahre lang Arbeitsplätze abgebaut werden und die Konjunktur lahmt, nehmen auch unsere Einnahmen ab. Außerdem spielt der demografische Wandel eine entscheidende Rolle. Die Menschen, die zuwandern, sind in der Regel keine evangelischen Christen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir bis zum Jahr 2030 ein Drittel unserer Mitglieder verlieren werden.

Der Herner Sozialpfarrer Jürgen Klute ist engagiert in der Linkspartei. Wäre es auch für Sie ein Weg?

DER KIRCHENTAG

■ Ort: Köln ist Hochburg des Katholizismus, nur jeder fünfte ist evangelisch. 2005 kamen in die Domstadt eine Million Katholiken zum Weltjugendtag. Auch Papst Benedikt XVI. ■ Motto: „Lebendig und kräftig und schärfer“ – gemeint ist Gottes Wort (Hebr. 4,12). Das Logo zeigt den urchristlichen Fisch mit Haifischflosse. ■ Termin: 6. bis 10. Juni. Zeitgleich trifft sich die G8 bei Rostock – der Welt-Macht-Gipfel ist das globale Politikereignis 2007. ■ Top: Nach ihrem Gipfel kommt Kanzlerin Merkel nach Köln, trifft am Samstag auf den Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus. CSC

Ich bin froh über jeden evangelischen Christenmenschen, der sich in der Politik engagiert. Für mich persönlich wäre das allerdings keine Alternative.

Als das BenQ-Werk in Kamp-Lintfort geschlossen wurde, nannten Sie das einen „Vertrauensbruch“ der Manager.

Dadurch, dass ich in der Nachbarschaft wohne, geht mir das nahe. Siemens gehört zu den tragenden Säulen dieses Landes – auch was die soziale Verantwortung angeht. Wenn man sieht, dass mit der Gewerkschaft ein Lohnverzicht aushandelt wurde und ein knappes Jahr später das Werk zugemacht wird, fragt man sich, was passiert ist. Es wird mit Menschen gespielt.

Die Politik in NRW beruft sich auf die christliche Soziallehre – auch Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Ist das zeitgemäß?

Der rheinische Kapitalismus war ein Markenzeichen, das wir selber organisieren konnten. Die Ausweitung auf die EU ist da schon ein größeres Problem. Wir sehen, wie schwer es ist, soziale Standards als verbindlich zu beschreiben. Die Vereinigten Staaten und die ostasiatischen Länder haben eine völlig andere Sichtweise. Es prallen da verschiedene Philosophien aufeinander und es ist nicht noch klar, was sich durchsetzt. Diese Auseinandersetzung wird auch in Heiligendamm eine Rolle spielen.

In welche Richtung schlägt das Pendel?

Soziale Marktwirtschaft ist ein ökonomisches und soziales Erfolgsmodell. Die Motivation der Mitarbeiter ist ein Erfolgsfaktor. Das muss sich durchsetzen.

Macht es einen Unterschied, dass NRW jetzt vom Katholiken Rüttgers regiert wird und nicht mehr von protestantischen Sozialdemokraten wie Johannes Rau ?

Zu Zeiten von Johannes Rau war es natürlich ein Riesenunterschied – auch weil er Mitglied der Synode war. Aber auch von der schwarz-gelben Landesregierung werden wir fair und freundlich behandelt. Kirche und Politik haben eine große Verantwortung für die Menschen, die in dem Land leben.