: Allergien zuerst für die Reichen
Statt Hiobsbotschaften verbreiten Gesundheitsforscher dieses Mal gute Nachrichten: Die meisten deutschen Kinder sind weder faul noch dick. Aber ob man zu dieser Mehrheit gehört oder nicht, hängt sehr stark davon ab, wie wohlhabend die Eltern sind
Wie gut geht es Deutschlands Heranwachsenden? Zu dieser Frage liefert der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) des Robert-Koch-Instituts eine bislang unbekannte Datenfülle. Die Ergebnisse liefern nicht nur eine gute Grundlage für künftige Forschung. Sie tragen auch dazu bei, manchen Mythos zu enttarnen. So fand die Studie – passend zur aktuellen Debatte um den Kitaausbau – heraus, dass ein Krippenbesuch dem psychischen Wohl eines Kinds nicht schadet. Im Gegenteil ist er eher förderlich. „Die Kinder von berufstätigen Müttern, die in Kindereinrichtungen gehen, haben seltener psychische Auffälligkeiten als die Kinder von Müttern, die zu Hause bleiben“, sagte Bärbel-Maria Kurth vom Robert-Koch-Institut am Mittwoch bei der Vorstellung des Berichts. COS
VON COSIMA SCHMITT
Die Kids haben Blutproben gegeben und Kniebeugen vorgeführt. Sie haben Listen geführt, wie oft sie Obst essen und wie oft lieber Pommes. 18.000 Minderjährige ließen sich ausfragen für eine bis dato einmalige Studie: einen Survey, mit dem das Robert-Koch-Institut das Wohlbefinden der 0- bis 17-Jährigen durchleuchtet.
Erste Daten sind seit dem Vorjahr bekannt. Nun aber veröffentlichten die Forscher die Gesamtergebnisse – die ein neues Licht auf auf manch aktuelle Debatte werfen.
So ist die Jugend insgesamt besser ist als ihr Ruf. Das Gros sitzt seine Freizeit nicht träge vor dem Fernseher ab, sondern treibt regelmäßig Sport. Die Jugend ist auch nicht so fastfoodversessen wie oft vermutet: Drei von vier Minderjährigen greifen nur einmal im Monat zu Hamburger und Co. Jedes zweite Kind isst täglich Obst oder Gemüse – Mädchen etwas häufiger als Jungs.
Die Studie erlaubt es also, die derzeitige Debatte um übergewichtige Deutsche zu versachlichen. Sie zeigt aber auch, wo sich die Probleme bündeln. So driften die Lebenswelten der Kids auseinander: Auf der einen Seite steht eine sportlich aktive, normalgewichtige, guternährte Mehrheit – und auf der anderen Seite eine Minderheit, in der sich die Risiken häufen. Wie gesund ein Kind ist, hängt dabei stark vom Status der Eltern ab.
Die Kluft öffnet sich schon bei der Geburt. Kinder aus sozial benachteiligten Familien werden seltener gestillt. Sie treiben weniger Sport. Sie putzen sich seltener die Zähne. Sie tragen seltener Fahrradhelme und verunglücken häufiger im Straßenverkehr. Als Teenager verbringen sie mehr Zeit vor dem Fernseher oder der Playstation. Kein Wunder also, dass sie auch besonders oft übergewichtig sind. Überhaupt leidet ein Viertel der Kinder und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien an Essstörungen. Das sind doppelt so viele wie in gutsituierten Familien. Nur in einem Punkt sind arme Kids ihren wohlhabenden Altersgenossen gegenüber im Vorteil: Sie leiden nicht ganz so oft an Allergien.
Drastisch benachteiligt hingegen sind sie in Fragen der psychischen Gesundheit. Insgesamt bemerkten die Forscher bei 11,5 Prozent der Mädchen und 17,8 Prozent der Jungen Hinweise auf Verhaltensauffälligkeiten oder emotionale Probleme. Doch dieser Mittelwert verhüllt eine deutliche Spaltung: 23,2 Prozent der Kinder mit niedrigen sozioökonomischen Status sind psychisch auffällig – aber nur 8,1 Prozent der Befragen aus gutsituiertem Elternhaus.
Viele dieser Befunde gelten auch für eine Teilgruppe, die in der Studie umfassend beleuchtet wird: die Kinder aus Migrantenfamilien. Zwar werden diese Kinder überdurchschnittlich oft gestillt – und zumindest die Mädchen sehen nicht so viel fern wie etwa Kinder aus sozial schwachen Familien. Aber auch Migrantenkinder sind häufiger psychisch auffällig als der Durchschnitt. Und sie unterscheiden sich vom Durchschnittskind in den Körpermaßen: Sie sind im Schnitt kleiner, haben einen größeren Taillenumfang und einen höheren Körperfettanteil – und mithin ein höheres Risiko, später einmal an Diabetes, Herzproblemen oder Gelenkschäden zu leiden.
„Diese gesundheitliche Ungleichheit dürfen wir nicht zulassen“, bekundete sogleich Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Sie sprach sich, noch reichlich vage, für mehr Präventionsangebote aus. Immerhin verweist ihr Statement auf die neue Aufgabe, die nun auf Forscher wie Politik wartet: Wege zu ersinnen, wie sie auch arme Kinder vor vermeidbaren Risiken bewahren können.