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Archiv-Artikel

Kein Frieden in Kundus

ABZUG Vor einem Jahr wurde der Charakter des deutschen Afghanistaneinsatzes entscheidend verändert. Seitdem hat sich die Sicherheitslage verschlechtert

Im August kam es bei Kundus zu den heftigsten Gefechten seit dem deutschen Abzug

MASAR-I-SCHARIF taz | Am Abend des 18. Oktober 2013 verließ ein Konvoi mit 119 Fahrzeugen und 441 Soldaten die nordafghanische Stadt Kundus. Damit zogen die letzten deutschen Soldaten nach zehn Jahren aus dem Gebiet ab, in dem sich die Bundeswehr erstmals seit ihrer Gründung an einem Kriegseinsatz am Boden beteiligt hatte.

In der Schlussphase hatten die Deutschen in Kundus einheimische Soldaten ausgebildet. Dann wurde das Lager an afghanische Armee und Polizei übergeben. Das entspricht der Nato-Planung: Ab Januar 2015 sollen nur noch 12.000 internationale Soldaten an der neuen Mission „Resolute Support“ beteiligt sein. Deutschland wird statt derzeit rund 1.700 dann nur noch 800 Soldaten entsenden. 200 sind für die Nato-Stäbe in Kabul eingeplant, der Rest für das Lager bei Masar-i-Scharif.

Doch bereits jetzt, ein Jahr nach dem Abzug aus Kundus, wird deutlich, dass sich die Situation nicht dauerhaft verbessert hat. Im August kam es bei Kundus zu den heftigsten Gefechten seit dem deutschen Abzug. Zwar haben die Aufständischen dabei offenbar nicht, wie in einigen deutschen Medien im August gemeldet, den als PHQ bekannten früheren Bundeswehraußenposten gut sechs Kilometer westlich des Lagers übernommen. Aber sie konnten zeitweise einige Dörfer und Straßen unter ihre Kontrolle bringen. Die Lage wurde so gefährlich, dass die weiterhin in Kundus eingesetzten deutschen Entwicklungshelfer die Stadt verlassen mussten.

Isaf-Offiziere deuten die Gefechte als Beleg für die Einsatzfähigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte. Allerdings konnten Afghanen die Aufständischen erst nach mehrfachen US-Kampfjet-Einsätzen zurückdrängen. Da Unterstützung aus der Luft eigentlich nicht in das neue Bild von der Nato-geführten Beratungsmission passt, war das Ganze offiziell kein Isaf-Einsatz, sondern eine unilaterale Aktion der US-Streitkräfte.

Die politische Führung in Berlin ist von einem schnellen und nachhaltigen Erfolg von Isaf offensichtlich nicht mehr überzeugt. Die Bundeskanzlerin soll im vertraulich tagenden Auswärtigen Ausschuss des Bundestags Bedenken gegen einen vollständigen Nato-Abzug bis 2016 geäußert haben. Dabei soll Angela Merkel auf die Entwicklung in Syrien und im Irak verwiesen und angekündigt haben, die Bundesregierung wolle noch einmal mit den USA über den geeigneten Zeitpunkt für das Ende des Afghanistaneinsatzes reden.

ERIC CHAUVISTRÉ