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Archiv-Artikel

Böse sein macht Arbeit

BAD GIRLS Das Performance-Festival In Transit im Haus der Kulturen der Welt setzt auf Provokation. Kommt einem doch bekannt vor

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Meerjungfrau sein ist auch kein einfacher Job. Ann Liv Young kann ein Lied davon singen. Ihr schöner Schuppenschwanz beispielsweise: Mindestens drei Matrosen braucht sie als Hilfstruppe, um da rein- und rauszukommen. Dann treten ihr die Tölpel ein Loch ins Bassin, laut hört man es blubbern, Klebeband muss her. Einen richtigen Kampf nachstellen, mit verliebten Griffen ins fischige Fleisch und dem Schmackes der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts, gelingt ihrer Seemannsstatisterie auch nicht, sie gleiten aus. Zunehmend unwirsch wird die Darstellerin. Die Autoren ihrer mythologischen Vorbilder, die sie sich zu Beginn ihrer „Mermaid Show“ hat vorlesen lassen, scheinen von den realen Bedingungen einer solchen Existenz keinen blassen Schimmer gehabt zu haben.

Die Sprachmaschine

Ann Liv Young ist eine Performerin aus New York, die hart um ihren Ruf als Bad Girl ringt. Dass sie mal vor Publikum masturbierte oder ihren Urin trank, nun ja. Die Stärke ihrer Auftritte lag auch da weniger in der Provokation als vielmehr im eigenwilligen Umgang mit der Popkultur. Auch in der „Mermaid Show“, die zum Eröffnungsprogramm des Performing Arts Festivals In Transit im Haus der Kulturen der Welt gehörte, lieferten Songs ihrer Fantasie ebenso Leitbilder wie die Mythologie. In Musik goss sie letzten Endes auch ihre Wut über das Nichtfunktionieren der Figur der Verführung. Doch viel mehr als ein in die Länge gezogener Sketch war die „Mermaid Show“ dennoch nicht.

Diktator sein, noch so ein Scheißjob, für den es keine Anerkennung gibt. An ihm arbeitet sich Angélica Liddell aus Madrid ab. Richard III., Hitler, General Franco: All dieser Figuren bedient sich Liddell in einem Text, der um die Grausamkeit kreist, um die Rechtfertigungslogik einer Politik des Mordens und um das Kurzschließen der Krankheit des Tyrannen mit dem Wahnsinn seiner Entscheidungen. Liddell rechnet dabei auch mit dem Spanien der Gegenwart ab, der Schwerfälligkeit, sich der kolonialen Geschichte und der Zeit unter Franco zu stellen.

In einem unglaublichen Tempo lässt sie ihre Tiraden los, in der deutschen Untertitelung schafft man es kaum, ihrem spanischen Text zu folgen. Sie greint wie ein krankes Kind, kratzt sich am Hintern, fummelt an ihrem Geschlecht, hüpft, tanzt, macht Fitness-Übungen. Lange vor Ende des zweistündigen Spektakels sehnt man die Erschöpfung ihres schmächtigen Körpers herbei. Aber nein, je weniger eigenes Leben ihrer Figur noch zu bleiben scheint, mit desto mehr Erfindungsreichtum wirft sie sich in die Vernichtung anderer, der Schriftsteller zum Beispiel und wie man die von Flugzeugen aus ins Meer werfen kann.

Im Gleiten durch verschiedene historische Horizonte, in der Lust am Ausleuchten des Zynismus der Macht und in der ständigen Bereitschaft, aus dem Bösen auch noch einen Witz herausholen, gleicht Liddells Text „El Ano de Ricardo“ den Werken von Elfriede Jelinek. Dem obsessiven Sprachfluss aber setzt ihre Performance, bei der sie nur ein stummer Partner begleitet, nichts entgegen. Sie bleibt durchgängig in einer hysterischen Tonlage – und das mindert dann doch nach einiger Zeit das Interesse. Die ein oder andere Spitze, die ihr Text etwa gegen den Abbau von Bildung in Spanien heute fährt, wäre einem dabei glatt entgangen, hätten nicht spanischsprachige Zuschauer das im Gespräch danach hervorgehoben.

Hysterische Tonlage

Überhaupt, das Publikum. Es ist am Eröffnungsabend überwiegend jung und weiblich, mindestens zwei theaterwissenschaftliche Seminare sind dabei. Wer über vierzig ist oder männlich, ist oft selbst Kurator oder Künstler. Wer In Transit besucht, ist also entweder trainiert oder zumindest sehr offen.

Das Verhältnis zum Publikum im besonderen Maße zum Thema zu machen, haben sich die drei Kuratoren Jens Hillje, Irina Szodruch und Tang Fu Kuen für dieses Jahr vorgenommen. Ein Performer aus Singapur, Daniel Kok, will Musik und Bewegungsabläufe nach den Wünschen des Publikums richten, Yann Marussich aus Genf liefert sich einer Maschine und der Steuerung durch die Zuschauer aus, für die Party Guilty Pleasures bittet Song-Ming Ang, dass man ihr die Lieblingsmusiken mitbringt, die einem öffentlich peinlich sind. Allein solche Gesten der Partizipation haben die Performance von jeher begleitet. Ob da tatsächlich thematisch ein neuer Funke herausspringt, war zumindest am Eröffnungsabend noch nicht zu sehen.

■ In Transit, Haus der Kulturen der Welt, bis 18. Juni, täglich neues Programm unter www.hkw.de