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Archiv-Artikel

Mit österreichischer Milch gesäugt

RETROCHARME Literaturverfilmungen machten Bohumil Hrabal bekannt, der in diesem Jahr hundert geworden wäre. Im Literaturhaus Berlin erzählen Ausstellungstafeln über Leben und Werk des tschechischen Autors

Dennoch sind diese Hörstücke der eigentliche, verborgene Schatz dieser Ausstellung

VON KATHARINA GRANZIN

Bohumil Hrabal sprach hervorragend Deutsch. Das ist eine der Entdeckungen, die sich in dieser Ausstellung über einen der wichtigsten tschechischen Autoren des 20. Jahrhunderts machen lassen, die als Übernahme aus dem Prager Museum der Tschechischen Literatur derzeit im Literaturhaus zu sehen ist. Völlig fließend und in fast perfekter Syntax, dabei mit markantem tschechischem Akzent, gab er deutschsprachigen JournalistInnen offenbar häufig Interviews. Schon daran lässt sich ablesen, dass Hrabal einer anderen Zeit entstammt. Er gehöre einer Generation an, die noch mit österreichischer Milch gesäugt worden sei, so ähnlich hat er selbst es einmal formuliert.

Bohumil Hrabal wurde geboren, noch bevor der Erste Weltkrieg begann. Im März dieses Jahres wäre er vielleicht hundert Jahre alt geworden, wenn er nicht – die ihn gekannt haben, meinen, mit Absicht – schon im Februar 1997 im Alter von 82 Jahren aus einem Prager Krankenhausfenster gefallen wäre. Beim Taubenfüttern, so schrieben damals die Zeitungen.

Milder Surrealismus

Diese Interpretation des Ereignisses klang nach genau demselben milden Surrealismus, der auch Hrabals Werk kennzeichnet. Er selbst, so kann man ihn in dieser Ausstellung erklären hören, sah sich zu etwa gleichen Teilen in der Nachfolge von Franz Kafka und Jaroslav Hašek – eine Einschätzung, die wohl die meisten Hrabal-Leser sofort teilen würden. Beide, so hört man Hrabal weiter, hätten gleichzeitig in Prag gelebt, ohne sich je zu begegnen! Weil nämlich der eine in die Kneipen gegangen sei und der andere in die Kaffeehäuser.

In Hrabals Werk spiegelt sich somit zum einen die Literatur-, zum anderen die Zeitgeschichte. Die Zeit des Protektorats Böhmen und Mähren saß der junge Bohumil als Bahnangestellter in der Provinz aus. Diese Erfahrungen dienten als Hintergrund für seine Novelle „Scharf bewachte Züge“. Jiří Menzel verfilmte sie 1966 („Liebe nach Fahrplan“) und bekam dafür den Auslands-Oscar – was nicht nur für den Regisseur einen großen Karrieresprung bedeutete, sondern auch für den Autor, dessen Bücher auf einmal auch im Westen verstärkt wahrgenommen wurden.

Eine andere Hrabal-Verfilmung Menzels von 1968, „Lerchen am Faden“, die die dunkleren Ecken der realsozialistischen tschechoslowakischen Gesellschaft beleuchtete, konnte erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gezeigt werden. Dafür gab es den Silbernen Bären bei der Berlinale 1990.

In die Knie mit dem Betrachter

In der sehr materialreichen Ausstellung ist das Thema Film allerdings an den Rand gedrängt – das ist wörtlich zu nehmen. In manche Wandtafeln wurden am Rand kleine Monitore eingelassen, auf denen stumm bewegte Bilder flimmern, noch dazu in Kniehöhe. Das erschwert die Rezeption beträchtlich.

Die ist ohnehin nicht einfach. Natürlich atmet das Wandzeitungsformat, das diese Ausstellung insgesamt kennzeichnet, einen gewissen Retrocharme. Aber es macht keine Anstalten, den Betrachtern entgegenzukommen. Man muss sich das Material sehr gewissenhaft erarbeiten. Da neben den einzelnen Fotos oder Exponaten keine Beschriftungen angebracht sind, muss, wer partout wissen will, was darauf abgebildet ist, jedes Mal einen Abgleich mit der langen Liste unten rechts auf der Wand vornehmen.

Was bei den zahlreichen Audiostationen zu hören ist, erfährt man erst, wenn man die entsprechende Nummer drückt; und auch dann fehlt die Quellenangabe. Dennoch sind diese Hörstücke – meist auf Deutsch, manche auch auf Tschechisch – der eigentliche, verborgene Schatz dieser Ausstellung. Wenn man vom Wandzeitungsgucken müde ist, kann man sich einfach schön in einen Sessel setzen und sich etwas vorlesen lassen.

Unter anderem ist in deutscher Übersetzung sogar jenes Zeitungsinterview zu hören, mit dem Bohumil Hrabal sich im Jahr 1975 zum Leben im Sozialismus bekannte, um endlich wieder publizieren zu können. Damit machte er sich viele Feinde.

Begleitet wird die Ausstellung übrigens von einem ausgedehnten Rahmenprogramm, bei dem auch die Liebhaber des tschechischen Kinos auf ihre Kosten kommen werden. Auch das Arsenal zeigt im November ein paar Hrabal-Verfilmungen.

■ Im Literaturhaus Berlin in der Fasanenstraße, bis 23. 11., Di.–Fr. 14–19 Uhr, Sa.–So. 11–19 Uhr, Katalog 10 Euro