Urknall des Dschihad-Dramas

KÜSSE UND BISSE (7) – Notizen zum Kleist-Jahr: Was fangen wir im neuen Jahrtausend mit der „Hermannsschlacht“ an? Eine kleine Aufführungsgeschichte

Heinrich von Kleist verfasste 1808 eine Art Dschihad-Drama mit dem Titel „Die Hermannsschlacht“, das als ultimativer propagandistischer Angriff auf die Franzosen gedacht war. Die waren damals noch Besatzer in Preußen und hatten zum Beispiel den „Code Napoléon“ eingeführt – ein Gesetzbuch, das den feudal regierten Deutschen immerhin erste bürgerrechtliche Fortschritte gebracht hatte. Kleist aber dachte so fanatisch und militärisch wie heutzutage nur noch die Hamas. Sein Vorbild waren die Spanier, die Napoleon mit ihrer neuen „Kleinkriegs“-Taktik – seither auch „Guerilla“-Krieg genannt und quasi das, was wir heute hochtrabend den „asymmetrischen Krieg“ nennen – gerade schwer zu schaffen gemacht hatten.

Kleists Stück greift allegorisch auf den urdeutschen Kult der Varus-Schlacht im Teutoburger Wald zurück. Aber Kleist wäre nicht Kleist gewesen, wenn er nicht auch bei dieser literarischen Fingerübung wieder einmal total ausgeflippt wäre und aus der Geschichte einen veritablen Splatter-Exzess gemacht hätte. Aufgrund seiner extremen Grausamkeit war das Stück den Zeitgenossen nicht vermittelbar.

Das hing unter anderem damit zusammen, dass Kleists Text quer zu den ästhetischen Maßgaben der Weimarer Klassik stand. Ein Protagonist, der eine angeblich von Römern vergewaltigte germanische Jungfrau in 15 Stücke schneiden lässt, um sie an alle Stämme seines „Volks“ zu schicken, damit dieses in seiner Empörung endlich einem „totalen Krieg“ gegen die Römer zustimmt? Undenkbar!

Nach seinem Selbstmord im Jahr 1811 galt Kleists Stück also zunächst einmal für ein halbes Jahrhundert als Text eines Psychopathen. Die Uraufführung der „Hermannsschlacht“ fand erst 1860 in Breslau statt. Ein entrüsteter Theaterkritiker schrieb in der Schlesischen Zeitung: „So wie sich uns Hermann auf der Bühne präsentirt, ist er ein hinterlistiger, heimtückischer und grausamer Barbar, welcher uns fast zwingt, wider Willen mit den Römern zu sympathisiren.“

Erst 1875, nach dem zweiten gegen Frankreich gewonnenen Krieg von 1870/71, im Kontext der Eröffnung des Hermannsdenkmals bei Detmold und zweier vielbeachteter Aufführungen des Stücks in der Reichshauptstadt Berlin wird Kleists Drama plötzlich akzeptiert. Bis zum Ersten Weltkrieg boomt der Stoff auf deutschen Bühnen. Ganz schlimm wird es nach 1933: Kleist avanciert zum Paradedichter der „stählernen Romantik“. Allein in der Spielzeit 1933/34 erlebte das Stück 146 Aufführungen, und Alfred Rosenberg erklärte Kleist 1934 zum Dichter des nationalsozialistischen „Staatsaufbaus“. Nach 1945 war also erst einmal wieder Funkstille. 1957 gab es allerdings noch eine bizarre Aufführung in der DDR. Marschrichtung war hier im Programmheft bereits der Kalte Krieg: „1. Rom: das ist uns Amerika.“

In der BRD wagte man sich erst 1982 wieder an das Stück. Claus Peymann las das Drama in seiner bei dem Publikum extrem erfolgreichen und von der Kritik einhellig gefeierten Bochumer Inszenierung „antiimperialistisch“ und erklärte 1984 im „Kleist-Jahrbuch“ mit folgendem historischen Beispiel, wie er das allen Ernstes verstanden wissen wollte: „Ein amerikanischer Flugzeugpilot springt aus dem Flugzeug, mit seinem Fallschirm, er hat das ganze Dorf mit Napalm bombardiert, in Vietnam, jetzt hat er einen Motorschaden und muss aussteigen. […] Da ist der Vietnamese. Der Mann […] nimmt ’ne Hacke und haut den amerikanischen Soldaten tot. So! Nach welchem Recht haut er den tot? […] Also ich kann ihn da absolut verstehen.“

Nun ja. Heute ist dieses Drama wohl nur noch als historische Farce aufführbar – etwa so, wie es Armin Petras im Oktober 2010 an den Münchner Kammerspielen probiert hat. Oder wie geht es im neuen Jahrtausend mit diesem Stück weiter? So viel dürfte klar sein: Bitte keine „Mavi Marmara“-Inszenierung gegen den „israelischen Apartheidstaat“, liebe Regisseure! JAN SÜSELBECK

■ 2011 ist Kleist-Jahr. Am 21. November 1811 hat der Dichter sich erschossen. Wir drucken, immer am 21. eines Monats, Notizen zu Leben und Werk dieses seltsamsten deutschen Klassikers.