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Archiv-Artikel

Die Wiege des Voodoo

Wie die beschauliche Gemeinde Nottuln einmal Opfer eines Pfingstochsen wurde

Die Nottulner glaubten, der Pfingstochse spreche in fremden Zungen zu ihnen

Im Mai des Jahres 1974 verhieß ein Samstagmorgen den Bewohnern des verschlafenen Dörfchens Nottuln in Westfalen einen sonnigen und schönen Tag, an dem zum ersten Mal im Jahr der Kuhmist, der sonst ständig die Straßen und Wege des gewöhnlich verregneten Nestes bedeckte, genug austrocknete, so dass die lehmverklumpten Gummistiefel in den muffigen Kammern bleiben konnten und das – von Natur aus mürrische – Landvölkchen die behaarten Füße völlig nackt zum Auslüften ins Freie setzen konnte.

„Nottuln“ bedeutet im älteren Sprachgebrauch ungefähr „Ort der etwas anderen Menschen und Tiere“, und in der Tat gibt es allerhand seltsame Geschichten von diesem gottverlassenen Fleckchen zu erzählen, wie zum Beispiel die des betrügerischen Pfingstochsen, der im eingangs schon erwähnten Jahre 1974 alle 87 Nottulner zum Besten gehalten und beinahe die Rote-Beete-Königin zum Weibe bekommen hätte.

Doch wir wollen am Anfang beginnen, wie es sich für gute Geschichtenerzähler geziemt. Es begab sich also, dass an einem Samstag im nahegelegenen Örtchen Havixbeck in aller Frühe der Ochse Berthold seines eintönigen Ochsenlebens auf dem Hof des Bauern Flasskamp überdrüssig wurde und beschloss, in die Welt zu ziehen, um sein Glück zu machen. „Ei was“, so sprach er zu sich, „ich bin doch ein stattlicher Ochs, soll ich denn meine Pracht allein diesen Weidegattern zeigen?“ Und so zog er los und nahm den Weg tapfer zwischen die Beine, und weil er groß und stark war, fühlte er keine Müdigkeit. Schon im Frühtau erreichte er Nottuln – und wie staunte er da, und wie staunten erst recht die Nottulner, die sich allesamt vor der Dorfkirche zusammengerottet hatten, um in den ersten Morgenstrahlen der aufgehenden Sonne ihre nackten, leicht befellten Füße in die Luft zu halten.

Weder hatten die Nottulner je zuvor einen Ochsen gesehen, noch hatte der Ochse je zuvor Nottulner gesehen, und so war die Verwunderung auf beiden Seiten groß. Der Ochse Berthold aber fasste sich zuerst ein Herz und gab ein deutliches und langgezogenes „Muuuuhhh!“ von sich. Weil aber zufällig gerade Pfingsten war, so hielten die Nottulner den Ochsen für nichts weniger als den Heiligen Geist, der in fremden Zungen zu ihnen sprach. Sie fielen vor ihm auf die Knie und huldigten ihm und beteten ihn an und baten ihn, noch einiges mehr in fremden Zungen zu ihnen zu sprechen. Berthold, der Ochse, aber ließ sich diese Verehrung wohl gefallen, kannte er von seinem Bauern Flasskamp aus Havixbeck doch nur Schelte und hartes Karrenziehen.

Da die Nottulner sich so sehr an seinem Muhen erfreuten, ihm dafür Geschenke und Opfergaben darreichten und sich vor Begeisterung gar mit Schaum vor den groben Mündern auf dem trocknenden Boden wälzten, so muhte er ein ums andere Mal und fand, dass dies eine angenehme und leichte Arbeit zum Broterwerb sei.

Als der Abend kam, rief der Bürgermeister von Nottuln, Josef Schalau, eine Versammlung ein – jedenfalls pro forma, denn die Nottulner waren immer noch vor der Kirche versammelt. „Freunde, Mitbürger, Nottulner“, sprach der Bürgermeister, „hört mich an. Wir wollen den Heiligen Geist zum Bürgermeister an meiner statt machen und ihm morgen Mittag unsere Rote-Beete-Königin Bettina zum Weibe geben. Auf dass der Heilige Geist für immer bei uns bleibt und uns an seiner Weisheit teilhaben lässt.“ Da jubelten die Nottulner, und am meisten jubilierte die Rote-Beete-Königin Bettina, denn die Braut des Heiligen Geistes zu sein, das konnte sie, ein eher grober Klotz von Weib mit dicken Zöpfen, sich gut vorstellen, hatte sie doch bislang kein Mann haben wollen. Und Berthold sagte nur: „Muuuuh!“

Der Dorfpfarrer aber, der irgendwann einmal in einem Buch namens „Voodoo leichtgemacht für jedermann“ gelesen hatte, dass man Geister und Götter und all den Kram besonders gut verehren könne, indem man kleine Figuren von ihnen formte, in die man dann Nadeln stach, und Hühner bei lebendigem Leibe aß und mit zuckenden Gliedmaßen um ein offenes Feuer tanzte, der Dorfpfarrer Huber also hieß die Nottulner, all dies zu tun. Und so sah man die braven Dörfler bis tief in die Nacht eifrig in eigens angerührter Matsche herumpatschen und aus Lehm kleine Ochsen formen und mit gezückten Nadeln um ein loderndes Lagerfeuer tanzen. Die Nottulner Hühner allerdings verweigerten ihre Teilnahme an dem Fest, worauf Pfarrer Huber beschloss, dass es durchaus auch ohne Hühner gehen könne.

Der bisherige Bürgermeister Schalau aber hatte in dieser Nacht eine Vision, dass man aus dem Heiligen Geist in naher Zukunft eine Touristenattraktion machen könne, vor seinem geistigen Auge sah er schon eine bildschöne Pfingstochsenpuppenundnadel-Fabrik in Nottuln entstehen, deren Produkte er an die Versandhäuser in aller Welt verkaufen würde.

Doch gerade, als das Pfingstfest seinen Höhepunkt erreichte und alles zuckte und tanzte und nadelte, da betrat Bauer Flasskamp aus Havixbeck die Szenerie. Kopfschüttelnd band er Berthold einen Strick um den Hals und führte ihn vor den Augen der bitter enttäuschten Nottulner mit sich fort. Und so kam es, dass die Rote-Beete-Königin Bettina nie einen Mann abbekam. Nottuln aber gilt seither als die Wiege des Voodoo in Westfalen. CORINNA STEGEMANN