: Ein Schluck Kulturgeschichte
ALKOHOL Flensburg ist die Rum-Hauptstadt Deutschlands. Hier wird seit 200 Jahren importiert, geblendet und genossen. Auch heute noch: Zwei Unternehmen halten ein Stück Flensburger Kulturgeschichte lebendig
VON KNUT HENKEL
Die Pumpe summt, der süße Geruch von Rum hängt in der Luft der kleinen Halle, die von mächtigen, alten Fässern und einer Abfüllanlage dominiert wird. Martin Johannsen steht vor einem der Fässer, die wie eine Perlenkette auf einem gekachelten Absatz stehen, zieht den dicken roten Schlauch heraus und verschließt es mit einem Korken. „In diesen Fässern ruhen unsere Rums noch ein paar Monate bevor sie dann auf Flaschen gezogen werden“, erläutert er und deutet auf den Tresen, der mit den Produkten des Traditionsunternehmens dekoriert ist.
A. H. Johannsen heißt die 1878 gegründete Rumfirma, die ihren Sitz nur einen Steinwurf von der Marienkirche und dem Nordermarkt hat. Marienburg wird das historische Ensemble etwas hochtrabend genannt, denn neben dem Kontorhaus und den beiden weiteren Gebäuden, die den Innenhof bilden, gehört auch ein stattlicher alter Turm dazu. Genug Platz, um Fässer zu lagern, den Rum reifen zu lassen und ihn dann an den Kunden zu bringen. Das ist seit 1878 das Geschäft der Johannsens.
Von der Zucker- zur Rumstadt
Martin Johannsen hat die Firma vor ein paar Jahren von seinem Vater Wolfgang übernommen und führt sie nun in Eigenregie mit seiner Frau und einer Handvoll Angestellter und Hilfskräfte. Das funktioniert, auch weil die Johannsens darauf achten, dass sie immer etwas Neues im Angebot haben. So wie das Fass mit „German Flavoured Jamaica Rum“, das Martin Johannsen fast ein Jahr lang mit der grünen Bark „Alexander von Humboldt II“ auf die Reise über den Atlantik, das Mittelmeer und die Ostsee geschickt hat. „Zum Reifen“, sagt Martin Johannsen. Im November sollen die ersten Flaschen des Jamaika Rums angeboten werden.
Aktionen wie diese halten das Flensburger Rumhaus lokal und regional im Gespräch. Sie belegen aber auch, dass sich die Firma an das veränderte Trinkverhalten anpasst und auf edlere Produkte setzt. Hundertprozentige Jamaica-Rums, die Martin Johannsen in der Marienburg über Jahre lagert, verfeinert und dann erst abfüllt, wie den vierzehnjährigen „Royal“ oder den „Flensburger Senior“, stehen dafür. Doch heute wie damals besteht das Kerngeschäft daraus, den traditionellen Flensburger Rum-Verschnitt für Grog und Pharisäer zu liefern.
Das hat eine lange Tradition, denn Flensburg war nach Altona zweitgrößter Zuckerproduzent im dänischen Königreich. In und um Flensburg wurde Zucker raffiniert und mit der Aufnahme des dänischen Westindien-Handels 1755 kamen neben Rohzucker ab 1767 auch Fässer mit Rum nach Flensburg. „Eigentlich als Ballast an Bord genommen, begannen die Branntweinbrenner Flensburgs die Rumfässer abzunehmen“, erzählt Thomas Overdick vom Flensburger Schifffahrtsmuseum. Der hochprozentige Rum war aber so stark, dass er auf Trinkstärke herabgesetzt werden musste und das war der Auftakt für die Rumproduktion in Flensburg.
Reichspräsident als Werbe-Ikone
Deren Geschichte, die Geschichte des Dreieckshandels von „Sklaven, Zucker und Rum“ wird in der Ausstellung im Schifffahrtsmuseum dargestellt. Das hat einen idealen Ort, denn schließlich ist das Museum im ehemaligen Zollpackhaus direkt am Hafen untergebracht. Dort lagerte früher auch der Rum aus Übersee, der anfangs von den dänischen Jungferninseln St. Croix, St. Thomas und St. John stammte.
Daran hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert, sagt Johannsen. Nur kommt der Rum seit der Annexion der Herzogtümer Schleswig und Holstein durch Preußen 1867 aus Jamaika und ist ein Rumkonzentrat, das als „German flavoured Rum“ für den deutschen Markt entwickelt wurde, erklärt Johannsen. „Diese Pure Rums enthalten eine besonders hohe Konzentration an Estern, die für die Intensität der Aromen entscheidend sind“, sagt Johannsen.
Folgerichtig bedarf es auch nicht viel dieses Konzentrats, um dem traditionellen Jamaica Rum-Verschnitt zu seinem charakteristischen Geschmack zu verhelfen. Viel mehr als ein Schnapsglas Pure Rum ist in einer Flasche Jamaika-Rum-Verschnitt aus Flensburg kaum enthalten, der Rest ist Agraralkohol, Wasser und Zuckercouleur. An der Küste wird der Verschnitt gestern wie heute für Grog und Pharisäer verwandt. Allerdings längst nicht mehr in dem Maße wie in den goldenen Jahren der Flensburger Rumproduktion.
Die datieren aus den 1920er- und 1930er-Jahren. So gelang es 1927 dem Rumhaus Hansen, den damaligen Reichspräsidenten Hindenburg als Zugpferd für seine Premiummarke, Hansen-Präsident, zu gewinnen. Rum wurde fortan im Deutschen Reich und auch später in der Bundesrepublik mit Flensburg gleichgesetzt. Der Neustart nach dem Zweiten Weltkrieg gelang den meisten der gut zwei Dutzend Rumhäusern Flensburgs. Bei Johannsen war die Basis dafür ein gut verstecktes Fass Pure Rum, welches den Krieg überdauert hatte.
Zu klein, um den ruinösen Preiskampf mitzumachen
Anders als bei den Großen der Branche wie Hansen, Dethleffsen oder Pott wurde bei Johannsen in den 1950er- und 1960er-Jahren nicht expandiert und mit modernem Equipment en gros produziert. Johannsen war zu klein, um den ruinösen Preiskampf der Großen mitzumachen und bediente den lokalen Markt. Ein Grund, weshalb das Unternehmen als einziges der traditionellen Rumhäuser heute noch existiert, nicht aufgekauft und als Marke in das eine oder andere Spirituosenimperium eingegliedert wurde.
So erging es den meisten der bekannten Flensburger Rumhäuser. Walter Braasch jedoch entschied sich, gegen den Trend anzugehen. 1998 gründete Braasch, der seine Ausbildung zum Destillateur im Rumhaus Herrmann C. Andresen absolviert hatte, seine Rum-Manufaktur in der Rote Straße. In direkter Nachbarschaft zum Rathaus der Stadt baute er den Innenhof zum schmucken Rummuseum aus, wo Rum verkostet und verkauft sowie ein Stück Flensburger Kulturgeschichte hochgehalten wird.
Das ist in der Marienburg von Martin Johannsen nicht anders. Dort liegt der Fokus jedoch stärker auf der Produktion. Rund 30.000 Liter Rum werden in dem kleinen Betrieb im Jahr abgefüllt und damit ist Martin Johannsen gut beschäftigt. Heute soll aus einem der großen bauchigen Fässer noch etwas fertiger 1878-Rumverschnitt auf Flaschen gezogen werden und das Lager wieder aufgefüllt werden. Da bleibt keine Zeit mehr für die Touristenführung durch die älteste Rumfabrik Flensburgs.