: Büttel des Leistungssports
Ärzte, wie sie nicht sein sollten: Die Doping-Geständnisse im Profi-Radsport bringen die Zunft der Sportmediziner in Verruf. Nicht Heilung ist ihr Geschäft, sondern Leistungssteigerung
VON MARKUS VÖLKER
„Ich schwöre und rufe Apollon, den Arzt, und Asklepios und Hygeia und Panakeia und alle Götter und Göttinnen zu Zeugen an, dass ich diesen Eid und diesen Vertrag nach meiner Fähigkeit und nach meiner Einsicht erfüllen werde.“ Der Eid des Hippokrates ist alt, um 400 vor Christus ist er entstanden. Generationen von Ärzten galt er als Leitmotiv ihres Heilens. Er hat nicht sehr viel von seiner Aktualität eingebüßt. Oder doch?
Im sportmedizinischen Institut der Uni-Klinik Freiburg scheint man den Eid komplett vergessen zu haben, vor allem die entscheidenden Passagen: „Ärztliche Verordnungen werde ich treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden. Auch werde ich niemandem ein tödliches Gift geben, auch nicht wenn ich darum gebeten werde (…) Rein und fromm werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren.“
Hort des Dopings
Die Sportärzte aus Freiburg scheinen keinen großen Wert auf Reinheit und Frömmigkeit gelegt zu haben, denn das sportmedizinische Institut hat sich als Hort des Dopings etabliert. Seit Jahrzehnten haben Mediziner alles getan, um Leistungssportler besser, stärker, schneller zu machen. Hier wirkten die berüchtigten Quacksalber Armin Klümper und Joseph Keul, hier waren die Telekom-Ärzte Andreas Schmid und Lothar Heinrich tätig. Hier praktizierte auch der überführte Georg Huber, langjähriger Betreuer der deutschen Olympiamannschaft. Es ging den Medizinern stets um Optimierung der Leistung, was sonst. Anfangs kümmerten sie sich nur passiv um Körperwerte wie Blutzusammensetzung, Puls und Blutdruck, sie gaben Ernährungstipps, später kam das weite Feld der pharmazeutischen Spezialberatung dazu. Die Ärzte, eingeweiht und vertraut mit den Wirkungen der Hormone, Botenstoffe und synthetischen Pillen im menschlichen Stoffwechsel, stellten ihr Wissen gern zur Verfügung. So wurden aus Ärzten Büttel im Betrieb des Leistungssports, immer noch im Begriff, Gutes zu tun. Bewahrten sie ihre Athleten denn nicht vor Schlimmerem, vor den unkalkulierbaren Folgen der Selbstmedikation? War es nicht gut, dass das gefährliche Spiel des Dopings unter ärztlicher Kontrolle stattfand?
Ein Sportmediziner aus Freiburg, der wegen Dopingvorwürfen gegen ihn ungenannt bleiben möchte, vergleicht die Versuchung des Sportmediziners mit den dunklen Mächten, die in „Star Wars“ Luke Skywalker zu sich ziehen wollen: „Komm zu uns rüber“, deklamiert der Mediziner am Telefon. Eigentlich dürfe er gar nicht mit der taz sprechen, sagt er, schon gar nicht von diesem fatalen Magnetismus. Dann verrät er, dass er als Sportmediziner die Aufgabe habe, „Athleten an eine Grenze heranzuführen“. Er will niemals Dopingmittel empfohlen oder verabreicht haben, er ist sogar der Meinung, es werde „eine Hexenjagd betrieben, die die Existenzgrundlage von uns Sportmedizinern gefährdet. Das Ganze ist existenziell bedrohlich.“ Natürlich sei er stets im Antidopingkampf engagiert gewesen, behauptet der ärztliche Anonymus. Das hat er mit seinen Kollegen in Freiburg gemeinsam. Georg Huber spielte in der Nationalen Antidoping-Agentur (Nada) den Aufklärer, Andreas Schmid bei der internationalen Agentur Wada. Die listigen Heiler verstanden sich mindestens so gut auf professionelles Heucheln wie ein Rolf Aldag, Jan Ullrich oder Bjarne Riis.
Was haben die Dopingdienstleister im weißen Kittel nicht alles getan für ihre Schützlinge, für Sportmanager und Sponsoren: Sie pullerten schon mal bei der Dopingprobe selbst ins Becherchen, damit sauberer Urin ins Labor geschickt wird. Oder sie übernahmen in Eigenregie die Kontrolle, was wohl auch die kleine Zahl von positiven Tests erklärt. Kurzum: Die Sportmediziner waren Teil des Dopingsystems. Sie haben ihren Job verfehlt und Leute krank gemacht. Die Einnahme von Cortison, Wachstumshormonen und Erythropoetin (Epo) ist bestimmt nicht gesund – aber auf jeden Fall leistungsfördernd. Es ging um Körper-Tuning im High-End-Bereich, um Medizinversuche am lebenden Objekt.
Die Strafe des Hippokrates
Der alte Hippokrates hatte für solche Kollegen klare Worte übrig: „Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir beschieden, in meinem Leben und in meiner Kunst voranzukommen, indem ich Ansehen bei allen Menschen für alle Zeit gewinne; wenn ich ihn aber übertrete und breche, so geschehe mir das Gegenteil.“