: „Abgerechnet wird erst bei der Scheidung“
Wenn Männer in der besseren Steuerklasse sind, profitieren sie von den Freibeträgen ihrer Ehefrauen – zu deren Nachteil. Daran wird auch das neue „Anteilsverfahren“ wenig ändern, warnt Christel Riedel vom Juristinnenbund
CHRISTEL RIEDEL, 57, ist Vorsitzende der Kommission Soziale Sicherungssysteme und Steuerrecht beim Deutschen Juristinnenbund. Das neue „Anteilsverfahren“ sieht vor, dass beide Ehepartner Steuern nach ihrem Anteil am Familieneinkommen zahlen. Bisher galt oft die Kombination der Steuerklassen III und V: Der Besserverdiener macht alle Freibeträge der Familie bei sich geltend, der Schlechterverdienende zahlt voll.
taz: Frau Riedel, demnächst wird das Steuerrecht reformiert: Dann können Ehepaare ihr Einkommen per „Anteilsverfahren“ versteuern. Ist das eine Verbesserung?
Christel Riedel: Nein. Da wird Murks mit Flickwerk kompensiert.
Wieso? Das „Anteilsverfahren“ sieht doch vor, dass beide Ehepartner in Zukunft ihre Steuern nach ihrem Anteil am Familieneinkommen zahlen. Bisher konnte der Besserverdiener dagegen alle Freibeträge der Familie bei sich geltend machen, der Schlechterverdienende zahlte den vollen Steuersatz – was sich meist negativ auf das Nettoeinkommen der Ehefrau ausgewirkt hat. Ist die neue Regelung nicht gerechter?
Sie ist nur wenig besser. Jetzt bekommt die Frau je nach ihrem Anteil am Familieneinkommen gnädigerweise ein Stückchen Freibetrag gewährt. Das Grundübel ist damit noch nicht beseitigt: Die Frau zahlt die Steuern, die der Mann spart. Eigentlich muss man aber dieses System abschaffen: Beide sollten ihr Einkommen individuell versteuern. Alle anderen europäischen Länder haben das längst getan.
Viele Ehepaare bleiben bisher in Kombination III/V, weil der Besserverdiener wegen der Steuerprogression mit Freibeträgen mehr spart als jemand, der wenig verdient. Das Ehepaar hat also erst mal mehr in der Kasse.
Sie müssen sehen, wer da mehr in der Kasse hat: der Ehemann. Die Frau hat weniger. Und dann sagt der Ehemann: „Hör mal, wenn du so viele Steuern zahlst, dann mach doch einen 400-Euro-Job, der ist steuerfrei und du brauchst nicht so viel zu arbeiten.“ Aber das bedeutet, dass die Frau noch weniger verdient, noch weniger Rente bekommt, der Job noch stärker dequalifiziert ist. Das ist eine dramatische Entwicklung, die die Regierung Schröder eingeleitet hat. Es gibt immer weniger Halbtagsjobs.
Moment. Am Ende des Jahres werden die hohen Steuern, die die Frau in der Klasse V zahlt, doch per Ehegattensplitting wieder umverteilt.
Ja, aber wessen Kontonummer steht denn auf der Steuererklärung? Das ist die des Ehemannes. Auf dessen Konto landet dann auch noch die Steuererstattung. Dann hat er noch einmal an seiner Frau verdient.
Aber wenn der Mann seine Ersparnisse nun in den Hausbau für die Familie steckt? Rechnen denn Ehepaare nicht eher so, als dass sie ihre Einkommen vergleichen?
Das klingt erst mal schlau. Aber Elterngeld, Arbeitslosengeld und Krankengeld – alles richtet sich nach dem Nettoeinkommen der Frau, das sich aus ihrer ungünstigen Steuerklasse ergibt. Das rechnen diese Leute nicht gegen.
Haben die meisten Paare nicht ein gemeinsames Konto? Dann profitieren doch beide.
Ach, hören Sie auf. Das zeigt sich ja bei der Scheidung. In mindestens 50 Prozent der Fälle kann der Verdienst des Partners nicht ermittelt werden, er ist der Frau schlicht nicht bekannt. Die haben kein gemeinsames Konto. Und die Frau unterschreibt die Steuererklärung vielleicht, aber sie liest sie nicht. Wir Juristinnen sind dann oft fassungslos. Ich sage nur: Freundinnen, lest mal, was ihr da unterschreibt.
Ist es denn naiv, seinem Partner zu vertrauen?
Leider ja. Wir sehen ja, was aus diesem Vertrauen folgt: In der Ehe gilt die Zugewinngemeinschaft. Das heißt: Abgerechnet wird erst bei der Scheidung. Bis dahin verfügt jeder selbst über das, was er verdient. Der Mann verfügt mit vollem Recht über sein Einkommen, das er mit Hilfe der Ehefrau so schön aufgepeppt hat. Eine solche Ehe müssen Sie durchhalten können bis zum Schluss. Sonst haben Sie die aufgeräumte Küche – und der Mann hat das Geld. Das Risiko, dass er dieses Geld im Trennungsjahr auf die Seite bringt, ist hoch. Wir bekommen häufig Briefe von solchen verzweifelten Frauen.
Dann ist das Anteilsverfahren doch etwas besser.
Und was machen Sie als schlechter verdienende Frau, wenn Ihr Mann sagt: „Nö, das lassen wir mal lieber“? Denn pro Monat muss er dann ja erst einmal mehr Steuern zahlen, weil er nicht mehr die hohen Freibeträge geltend machen kann. Zumal er meist derjenige ist, der die Steuererklärung macht.
Beim Anteilsverfahren kann der Arbeitgeber außerdem sehen, wie viel der Gatte verdient. Ein Datenschutzproblem?
Na ja, der Arbeitgeber sieht ja heute auch schon, dass die Frau in der Steuerklasse V ist. Damit ist auch klar, dass ihr Gatte gut verdient. Aber ein Datenschutzproblem bleibt es natürlich.
Was raten Sie nun Frauen, die heiraten?
Sie können entweder einen Ehevertrag aufsetzen, in dem sie festlegen, dass sie eine sogenannte Errungenschaftsgemeinschaft bilden wollen: Alles was beide Partner erringen, gehört beiden. Oder sie bestehen einfach darauf, dass beide in der Steuerklasse IV sind.
INTERVIEW: HEIDE OESTREICH