Polizei brüskiert Holocaust-Opfer

An der Landesschule der Berliner Polizei hat es eine Klasse abgelehnt, von einem Überlebenden über den Holocaust unterrichtet zu werden. Vertreter des Zentralrats der Juden nennt den Vorfall schockierend. Er fordert einen offenen Dialog mit den Schülern

AUS BERLIN FELIX LEE
UND DANIEL SCHULZ

Schon wieder hat es bei der Polizei einen antisemitischen Vorfall gegeben. Nur knapp eine Woche nachdem bekannt wurde, dass einige Leibwächter von Michel Friedman gern in SS-Uniform posierten, brüskierte eine Klasse der Berliner Landespolizeischule einen Holocaust-Überlebenden.

Sie wollten über den Massenmord an den Juden gar nichts hören, sagten die Schüler dem 83-Jährigen, der einen Vortrag hielt. Das alles sei doch schon eine Weile her. „Diese beiden Vorfälle machen mich wütend“, sagte Anetta Kahane von der Berliner Amadeu Antonio Stiftung, „ich will nicht pauschalisieren, aber vielleicht sollte sich die Polizei mehr mit Antisemitismus auseinandersetzen.“

Auch Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte der taz, „der Vorfall in Berlin ist schockierend, weil angehende Polizeibeamte eine besondere Verantwortung haben“. Er wandte sich aber dagegen, die Jugendlichen hart zu bestrafen: „Das bewirkt nichts“, sagte Kramer, „man muss mit ihnen offen über die Gründe ihrer Tat sprechen.“

Der Mann, dem die Berliner Polizeischüler nicht zuhören wollten, heißt Isaak Behar. Der Holocaust-Überlebende hat viel zu erzählen – seine gesamte Familie wurde in Auschwitz ermordet: Vater, Mutter, zwei Schwestern. Er hätte bei seinen Vorträgen schon häufiger erlebt, dass sich Anwesende abfällig über Juden äußern. Doch bisher sei immer jemand im Raum gewesen, der konsequent dagegen vorgegangen ist, erzählt Behar. Er hält seit Jahren Vorträge an Schulen, bei der Bundeswehr und in Polizeischulen.

Bei den Berliner Polizeischülern war das anders. Nicht nur ein einzelner Schüler, sondern die ganze Klasse angehender Polizisten erklärte, dass sie nicht dauernd an den Holocaust erinnert werden wolle, bestätigte gestern Berlins Polizeispräsident Dieter Glietsch. Einzelne Schüler hätten zudem erklärt, Juden seien damals reiche Menschen gewesen. „Einer solchen Situation darf ein Mensch, der selbst das Konzentrationslager erlebt hat, nicht ausgesetzt werden“, sagt Anetta Kahane. „Da müssen die Lehrer doch in der Klasse vorfühlen.“ Was die Polizeispitze neben den Äußerungen empört: Nicht mal das anwesende Aufsichtspersonal befand es für nötig, den Vorfall zu melden. Das Entsetzen in der Polizeibehörde ist nun groß.

Wie die Berliner Zeitung berichtet, hat sich der Vorfall bereits am 27. Februar zugetragen. Nur durch Zufall ist er dem Polizeipräsidenten bekannt geworden. Polizeipräsident Glietsch sprach von nicht zu tolerierenden Äußerungen. Zwar seien dies „leider landläufige Vorurteile“ und nicht strafbar, sagte Glietsch. Dennoch würde der Vorfall weiter geprüft und die Betroffenen angehört. Es seien sowohl „dienstrechtliche Konsequenzen zu prüfen als auch eine pädagogische Reaktion der Landespolizeischule vorzubereiten“, kündigte er an. Auch Berlins Innensenator Ehrhart Körting hat eine umfassende Aufklärung gefordert. „Wenn die Aussagen so gefallen sind, dann werden sie nicht geduldet und nicht toleriert.“ Für Wolfgang Benz, Chef des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, zeigen die Vorfälle in Berlin vor allem eines: „Der Wille, sich mit dem Holocaust zu beschäftigen, wird in der gesamten deutschen Gesellschaft geringer, das ist nicht das alleinige Problem der Polizei.“ Er forderte, den Unterricht über die Verfolgung der Juden professioneller zu organisieren. „Das muss so nüchtern unterrichtet werden wie Mathematik.“ Neben dem Anhören von Zeitzeugen sollten die Lehrer verstärkt mit Beispielen aus der Gegenwart arbeiten.